ISSN:
1432-1351
Source:
Springer Online Journal Archives 1860-2000
Topics:
Biology
,
Medicine
Notes:
Zusammenfassung 1. Versuche, in denen Streifenmuster in einem Augenmodell abgebildet wurden, das die für unsere Betrachtung wesentlichen Leistungen eines Appositionsauges wiedergibt, veranschaulichen die Richtigkeit einiger der von M. Hertz abgeleiteten Bedingungen des Bewegungssehens. Bewegte Gleichzäune von „kritischer Streifenbreite“ werden nicht als bewegt wahrgenommen; die kritische Streifenbreite entspricht ungefähr der Ommenbreite. Noch schmälere bewegte Streifenmuster werden in „unvollständiger Auflösung“ gesehen, d. h. in nicht voraussagbarer Streifenbreite, wohl aber bewegt, und zwar im Gegensinne der wirklichen Objektbewegung. 2. Wie die Schnittuntersuchung zeigt, ist das Fliegenauge gleichmäßig genug gebaut, um unvollständige Auflösung und damit rückläufige Scheinbewegung auftreten zu lassen. Doch variiert im Gegensatz zum Modell die Größe der morphologischen Sehwinkel abhängig von ihrer Lage im Auge. Die schmalsten Ommen liegen in der Mitte, die breitesten rings am Rande. 3. Wie Vorversuche lehren, hängt die Reaktionsbereitschaft der Tiere von der Tageszeit und der Temperatur ab. Mittags ist sie am größten, um Mitternacht am geringsten, durch Wärme wird sie erhöht. Die Laufgeschwindigkeit kann immer als Maß für die Reaktionsbereitschaft angesehen werden. 4. Das gegensätzliche Verhalten der Fliegen vor der parallel verschobenen Musterplatte (Hechtsche Versuchsanordnung) und im rotierenden Streifenzylinder läßt sich auf die gleiche Zwangsreaktion, ein Wenden des Tieres im Sinne der Musterdrehung um die der Zylinderachse parallele Körperachse zurückführen. 5. Der Abstand der Tiere vom Muster hat keinen Einfluß auf ihre Reaktionen. 6. Werden Fliegen durch rotierende, sehr abhebungsstarke Durchlichtzäune gereizt, so folgen sie, wenn die Streifenbreite den morphologischen Sehwinkel unterschreitet, offensichtlich einer rückläufigen Scheinbewegung. Als „kritisch“ bezeichne ich die selbst nicht wirksame Streifenbreite, die nicht mehr in der wahren und noch nicht in der scheinbar gegenläufigen Bewegung gesehen wird. Der der kritischen Streifenbreite entsprechende Winkel gleicht dem Öffnungswinkel deräußeren Ommen, deren Empfindung unter den gegebenen Bedingungen für die Reaktionen der Tiere offenbar allein maßgebend ist. Die in der Mitte des Auges liegenden kleinsten Ommen können die Scheinbewegung ebenso wahrnehmen wie die äußeren, sie bestimmen das Verhalten des Tieres, wenn die Randteile des Auges durch Lackierung verdunkelt sind. Die kritische Streifenbreite entspricht dann ihrem Öffnungswinkel. Da dieser kleiner ist als der der äußersten Ommen, so muß im normalen Auge die Bewegung des von der Augenmitte wahrgenommenen Bildes noch der wahren Musterbewegung entsprechen, während in den äußersten Augenteilen schon Gegenbewegung gesehen wird. Vermutlich entsteht dadurch eine ringförmige „Störungszone“, die durch Ausschalten der mittelsten Ommen mit Hilfe eines kleinen Lackflecks beseitigt werden kann. Dadurch werden die mittelgroßen, bis dahin „gestörten“ Ommen in Tätigkeit gesetzt, und es nimmt paradoxerweise nach Ausschaltung der kleinsten morphologischen Winkel die kritische Streifenbreite etwas ab. Eine Lackierung, die über 30% der Augenfläche verdunkelt, schaltet die mittelgroßen Ommen wieder aus und läßt die kritische Streifenbreite wieder das bei Normaltieren beobachtete, dem Öffnungswinkel der äußersten Ommen entsprechende Maß erreichen. 7. So läßt die physiologische Gegebenheit der kritischen Streifenbreite sich eindeutig auf die morphologische Gegebenheit der Ommenbreiten in ihrer lageabhängigen Streuung zurückführen. Damit tritt auch Drosophila in die Reihe der Tiere (und des Menschen), für die bereits Identität „des morphologischen und des physiologischen Sehwinkels“ nachgewiesen wurde. Für das Bewegungssehen des Komplexauges spielt die kritische Streifenbreite, bei welcher Mitbewegung in Gegenbewegung umschlägt, die Rolle des minimum separabile der Wirbeltiere. 8. minimum visibile (gesehene Mitbewegung von Weitzäunen) und die Wahrnehmungsgrenze für Gleichzäune (gesehene Scheinbewegung im Gegensinne der wirklichen) liegen beide unterhalb der morphologischen Sehschärfe. Im Gegensatz zur kritischen Streifenbreite werden sie durch jede Art von Ommenausschaltung vergrößert. 9. Mit fallender Beleuchtung werden minimum visibile und der Grenzwinkel für Wahrnehmbarkeit von Gleichzäunen stetig größer. Diese zweifache Übereinstimmung bestätigt die Annahme, daß beide Grenzwerte von demselben Faktor abhängen, nämlich von der Unterschiedsempfindlichkeit der Sehelemente. Die kritische Streifenbreite dagegen ist für jede Augenzone innerhalb der Grenzen möglicher Untersuchung (0,1–2000 Lux) von der Beleuchtung völlig unabhängig und konstant. Damit wird Hechts Erklärung der Abhängigkeit der Sehschärfe von der Beleuchtung durch physiologische Veränderung des Sehzellrasters (nach Zufallsgesetzen durcheinandergewürfelt stehende Ommen verschiedener Eintrittsschwellen der Lichtempfindlichkeit) unmöglich. Nur bei mittlerer Beleuchtung zwischen 5 und 60 Lux fällt die kritische Streifenbreite etwas ab und zwar bis auf Werte, die den Öffnungswinkeln der Ommen jener mittleren Ringzone entsprechen, die unter 6 als Störungszone bezeichnet wurde. 10. Aus Versuchen mit Tieren, bei denen durch Setzen eines großen zentralen Lackfleckes nur die äußeren Ommen funktionsfähig belassen werden, geht hervor, daß für die peripheren Ommen die kritische Streifenbreite konstant bleibt; sie können also nicht das an Normaltieren beobachtete vorübergehende Schmälerwerden verursacht haben. Dieses wird vermutlich durch die Ommen mittlerer Weite bedingt, die auf das Verhalten der Tiere Einfluß gewinnen, wenn die Ommen der Augenmitte versagen. 11. Ist die Mitte nach Ringlackierung der Augen allein freigelassen, so erlischt in ihr die Wahrnehmung rückläufiger Scheinbewegung gerade bei den Beleuchtungsintensitäten, bei denen die kritische Streifenbreite für Normaltiere kleiner zu werden begann. Die zentralen Ommen werden aber dabei nicht etwa vollkommen „blind“. Ihre Unterschiedsempfindlichkeit ist nur so weit herabgesetzt, daß sie erst wesentlich breitere Muster —selbstverständlich in der echten Bewegung —erkennen können. 12. Die graphische Darstellung aller bei verschiedenen Beleuchtungen gewonnenen Ergebnisse (S. 129) veranschaulicht die Lichtabhängigkeit der Wahrnehmungsgrenze für Weit- und Gleichzäune und die Lichtunabhängigkeit der kritischen Streifenbreite. Das Kurvenbild der Ergebnisse an Tieren mit Randlackierung, in dem sich die Grenzwinkelkurve mit der Linie der kritischen Streifenbreite überschneidet, legt einen Vergleich mit den geknickten Sehschärfekurven nahe, die bisher an anderen Tieren mit gleichabständigen Mustern ermittelt wurden. Wahrscheinlich sind diese in ihrem bei zunehmender Beleuchtung ansteigenden Anfangsteile Ausdruck für die wachsende Unterschiedsempfindlichkeit der Ommen und nur in ihrem der X-Achse parallelen Endteil durch den Rezeptorenraster bestimmt.
Type of Medium:
Electronic Resource
URL:
http://dx.doi.org/10.1007/BF00340525
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