ISSN:
1432-1351
Quelle:
Springer Online Journal Archives 1860-2000
Thema:
Biologie
,
Medizin
Notizen:
Zusammenfassung Zur Analyse des Lernvorgangs bei Vögeln wurden mit Haustauben verschiedene Futterdressuren durchgeführt. Mittels einer sog. straffreien Methode (s. Abschnitt II) wurde das Verhalten der Tauben bei bedingter Seiten-, Mittel- und Farbwahl untersucht. Versuche mittels eines spiralig angelegten Umweges (Abschnitt VII) ergaben Resultate, die das für Vögel beim Lernen in den genannten Dressuren zu beobachtende Verhalten im einzelnen erläutern. Aus den eigenen Versuchsergebnissen und denen anderer Autoren lassen sich folgende allgemeinere Besonderheiten beim Lernen gewisser Vögel ableiten: 1. Eine auf Grund einer Assoziation herausgebildete Handlung wird nach mehrfacher Wiederholung durch Verankerung an besondere örtliche Gegebenheiten, die ursprünglich nicht in Beziehung zur Assoziation standen, fester eingeprägt. Die anfänglich zu beobachtende Zielbezogenheit der erlernten Handlung geht hierbei häufig verloren (vgl. Abb. 1. S. 75, Abb. 7, S. 87, Abb. 8b, f, S. 88). In dieser Tendenz der Vögel, das Erlernte auf Grund einer räumlichen Orientierung spezifischer zu fixieren, tritt eine dem Vermögen zur Gebietsabgrenzung (Diebschlag 1940) analoge Verhaltensweise zutage. 2. Verhindert man die in 1. beschriebene Ortsfixierung der erlernten Gesamthandlung, so ziehen die Vögel statt dessen optische Orientierungsmittel heran, die ebenfalls bisher für das Zustandekommen der erlernten Handlung ohne Belang waren. Bei dieser auf Grund ursprünglich bedeutungsloser optischer Reize erfolgenden Fixierung der Gesamthandlung wird diese häufig, infolge Eigendressuren der Vögel, in Teilhandlungen zerlegt (Beispiele s. Abschnitt VII, Abb. 10–14). Auch in diesem Falle wird die ursprünglich in Erscheinung tretende Zielbezogenheit der Handlung aufgegeben. 3. Die Teilhandlungen werden durch die vom Tier selbst herangezogenen optischen Fixierungsmittel, denen eine Auslöserfunktion zukommt, zum Ablauf gebracht. Entfernt man das optische Fixierungsmittel einer Teilhandlung, so fällt diese aus, und die Gesamthandlung wird an diesem Punkte abgebrochen (Abb. 10c, 13c). 4. In einigen Fällen ließ sich zeigen, daß die optischen Orientierungsmittel durch ein „Schema“ ersetzt werden können (s. Abschnitt III, IV und Abb. 11); letztere bringen die entsprechende Teilhandlung ebenso in Gang wie der optisch fixierte Gegenstand selbst. 5. Die sekundär seitens des Tieres durchgeführte Zerlegung der Gesamthandlung in Teilhandlungen hat eine außerordentliche Starrheit (Stereotypie) und Invariabilität derselben zur Folge (vgl. Instinkthandlung!). Dementsprechend macht der Vogel von diesem Zeitpunkt ab bei seinen Entscheidungen meist keinerlei Fehler mehr, sondern führt Serien positiver Wahlen durch. Jedoch erleidet das erlernte Verhalten oft nach ganz geringfügig erscheinenden Änderungen der Versuchssituation eine ungewöhnlich starke Einbuße (Abb. 14). Diese Tatsache ist ein sicherer Beweis dafür, daß eine sekundäre Festigung des Erlernten in der in 2. beschriebenen Weise erfolgt ist. In vielen Fällen greifen Tauben, die durch kleinste Veränderungen der Dressuranordnung in ihren Entscheidungen gestört wurden, auf ein erfolgreiches, früher erlerntes Verhalten zurück (Abb. 3d). 6. Stereotyp ablaufende erlernte Handlungen werden von Vögeln sehr lange im Gedächtnis behalten (bei Tauben bis zu 11 Monaten nach der Dressur). Jedoch muß diese Gedächtnisleistung der Vögel scharf von derjenigen der Säugetiere unterschieden werden. 7. Junge Tauben weisen eine geringe Kohärenz mit Dingen ihrer Umgebung auf; infolgedessen ist das in 2. und 5. für erwachsene Individuen beschriebene Verhalten bei ihnen längst nicht so ausgeprägt. 8. Vögel sind bezüglich der Lösung von Mehrfachaufgaben den Säugetieren überlegen, sobald die Lösung jeder Einzelaufgabe auf das in 2. genannte Niveau gebracht worden ist. In diesem Falle wirkt jede einzelne Dressuranordnung wie ein Auslösermechanismus, der nur eine, und zwar nur die dressurgerechte Verhaltensweise zum Ablauf bringt. Das Tier selbst ist an einer solchen Entscheidung psychisch nicht stärker beteiligt wie während einer Taxis (Abb. 5). 9. Umdressuren von Tauben erfordern, wenn die Erstdressur während längerer Zeit eingefahren ist, etwa doppelt soviel Zeit wie die Erstdressur. Bei Säugetieren wird dagegen die veränderte Zielbezogenheit einer Handlung bei der Umdressur schneller erfaßt; diese vollzieht sich deshalb rascher als die Erstdressur. 10. Der bei der Umdressur von Tauben zu beobachtende Umweg über das vorher erlaubte Futterpodest ist Ausdruck einer Zerlegung der neuen Handlung in zwei Teilhandlungen. Die neue Erfahrungsbildung wird an die bereits bestehende angeschlossen. Erst nach längerer Zeit wird die neue Zielsetzung erfaßt und der Umweg aufgegeben (Abb. 2, 8b). Hiermit steht auch in Zusammenhang, daß sich dem Tier die Merkmale des Positivpodestes weit stärker einprägen als diejenigen des Negativpodestes; letzteres kann z. B. durch ein „Schema“ ersetzt werden (Abschnitt III). 11. Bei Tauben darf auf Grund der angegebenen Versuche (s. Abschnitt VII, Abb. 8, 9) freie Erinnerung angenommen werden. 12. Führt man mit Tauben nach Verschluß eines Auges Dressuren durch, so wird das mittels dieses Auges andressierte Verhalten auch dann wiederholt, wenn beide Augen freigegeben werden oder die Verschlußkappe auf das während der Dressur sehende Auge gebracht wird. Dies spricht gegen die Schlußfolgerungen, die Beritov und Chichinadse aus ihren Versuchsergebnissen ziehen. Gibt man in Erstdressur, Umdressur und Rückdressur abwechselnd das Auge einer Seite frei, so verbindet die Taube auf Grund einer Eigendressur mit der Freigabe einer bestimmten Sehseite auch die Lösung der zuerst mit dieser ausgeführten Handlung. Die Freigabe eines Auges wirkt wie eine Anweisermarke, die einen bestimmten Handlungsablauf induziert. 13. Wie besonders aus 7. hervorgeht, spielen bei den Lernprozessen der Vögel besondere psychische Grundvermögen und -strukturen eine Rolle, die am Ablauf bestimmter Instinkttätigkeiten beteiligt sind. Diese im Instinktiven verankerten Grundformen bewirken eine Festigung (Einprägung) und Ordnung bestimmter Vorgänge in der Erfahrungswelt der Vögel.
Materialart:
Digitale Medien
URL:
http://dx.doi.org/10.1007/BF00297920
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