Skip to main content
Log in

Zur Analyse des Reflexgeschehens bei Blatta orientalis L.

  • Published:
Zeitschrift für vergleichende Physiologie Aims and scope Submit manuscript

Zusammenfassung

  1. 1.

    Bei der Umkehrreaktion von Blatta treten drei Hauptbewegungsreaktionen auf: Zappelbewegungen der Beine, das Stemmen eines Hinterbeines, die Torsion des Vorderkörpers nach der Gegenseite. Torsions- und Stemmseite können wechseln. Es wurde untersucht, welche Momente eine Seite zur Stemm bzw. Torsionsseite machen. Es konnte als Ursache hierfür festgestellt werden: Angeborene Disposition, Körperlage vor Beginn der Bewegung, Verstümmelung.

  2. 2.

    Das Tier ist nicht imstande, eine günstige Konstellation in seiner Umgebung zur Umkehr auszunützen. Die Torsionsrichtung ist unabhängig von dem Einfall der Lichtstrahlen. Ein benachbarter Gegenstand, in den das Tier seine Krallen einschlagen könnte, wird nicht zur Umkehr benutzt. Aktive Berührungen von Tieren in der Rückenlage bleiben, im Gegensatz zu solchen in der Normalstellung, ohne Reaktion, werden also auch nicht zur Erhaschung des berührenden Gegenstands und Aufrichtung an ihm ausgenutzt. Darbietung eines ätzenden Stoffs in der Torsionsrichtung ruft keine Umkehr hervor, wohl aber die Auslösung von Putzreflexen. Selbst bei Amputationen auf der Torsionsseite erfolgt keine Abkehr.

  3. 3.

    Außer der ersterwähnten Umkehrreaktion tritt gelegentlich noch eine zweite ein, bei welcher die Schabe sich durch Einschlagen ihrer Vorderbeintarsalkrallen in ihre Hinterleibschienen sich sozusagen an sich selbst aufrichtet. Die Umkehr erfolgt hier über die Hinterleibsspitze. Die Reaktion ist starker Abänderungen fähig und hat keinen rein automatischen Charakter.

  4. 4.

    Als auslösendes Moment für die Umkehrreaktionen ergab die Analyse die Aufhebung der Berührungs- und Druckreize auf die Extremitäten.

  5. 5.

    Die Ausbreitereaktion ist ein Reflex, der bei Anblasen der Bauchfläche eines auf dem Rücken liegenden Tieres entsteht und der aus drei Einzelreaktionen besteht: Strecken des Körpers, Ausbreiten der Beine, Einstellung der Bewegung. Die Analyse ergab die Vermutung, daß die beiden ersteren Erscheinungen — ähnlich wie wahrscheinlich bei der Aerotaxis fliegender Insekten (Forel) — durch Reizung des Nervensystems infolge von Verbeulung der Körperdecke und hierdurch hervorgerufene Verlagerung der Eingeweide entstehen, während die letzte Reaktion auf den Berührungsreiz der Luft zurückzuführen ist:

  6. 6.

    Das Studium der Abwehrreflexe der Extremitäten ergab, daß der Berührungsreiz des Substrats, auf welchem das Tier mit seinen seinen ruht, erst die Gehreaktion bestimmt. Ohne diesen Berührungsreiz wird der durch Festhalten eines Beines erzeugte Bewegungsimpuls zur Abwehrreaktion. Bei schnellem Erfassen einer Extremität und Erhebung des Tieres daran kann Autotomie der ersteren oder plötzliche Beruhigung eintreten.

  7. 7.

    Die Teilreflexhandlungen, aus welchen der Fühlerputzreflex sich zusammensetzt, vollziehen sich unabhängig voneinander, jedoch beeinflussen sie sich gegenseitig in ihrem Verlauf, und zwar spielen hierbei Berührungsreize eine bedeutsame Rolle.

  8. 8.

    Gewisse Berührungsreize sind imstande, den Putzeffekt fortbestehen zu lassen, wenn der Initialreiz, der das Fühlerputzen ausgelöst hat, durch Amputation des Fühlers beseitigt wird.

  9. 9.

    Die Putztätigkeit der Mundorgane wird durch die spezifische Beschaffenheit des zu putzenden Gegenstandes nicht beeinflußt. Nicht nur der eigene, sondern auch ein fremder Fühler verschiedener Provenienz oder nur ein fühlerähnlicher Gegenstand, wie eine Holzfaser, kann geputzt werden.

  10. 10.

    Das Fühlerputzen kann unabhängig von der Fühlerreizung durch Berührungsreiz der Mundorgane ausgelöst werden. Ebenso kann jede Bewegung der Mundwerkzeuge zur Hervorrufung von künstlichem Fühlerputzen an fremdem Objekt benutzt werden.

  11. 11.

    Die eine Putzhandlung kann, wenn man den Endeffekt verhindert, in eine andere übergehen. So kann sich Fühlerputzen in Beinputzen verwandeln.

  12. 12.

    Der automatische Charakter des Putzens ergibt sich aus dem Antennenscheinpulzen und Beinscheinputzen, das eintreten kann, wenn die Antenne bzw. das Bein durch gewisse Amputationen daran verhindert wird, in Berührung zu den Mundorganen zu treten.

  13. 13.

    Wird an eine für die Mundwerkzeuge unerreichbaren Körperstelle (z. B. der Analgegend) ein sonst zum Putzen führender Reiz erzeugt, so werden hierdurch inadäquate Putzreize ausgelöst.

  14. 14.

    Der Putzeffekt kann unter gewissen Voraussetzungen in einen Freßakt umschlagen.

  15. 15.

    Sehr verschieden verhält sich die nicht ergriffene Antenne beim Scheinputzen, gegenüber der ergriffenen Antenne bei einem Putzakt mit einer fremden Antenne. Beim Scheinputzen legt sich die gereizte Antenne, wie um vom Putzfuß empfangen zu werden, bei jedem Putzgang der Maxille parallel zur vorderen Kopfseite. Beim Putzakt mit fremdem Fühler stellt sich der gereizte Fühler steil nach vorn in die Richtung der Körperachse ein. Ersteres stellt den ersten Akt der Fühlerputzreaktion dar, letzteres den zweiten. Somit ist der Eintritt des zweiten Reaktionsakts des Fühlers von dem Eintritt der Putzhandlung abhängig.

  16. 16.

    Es ist nicht die Putzhandlung der Maxillen, die den zweiten Akt der Antennenreflexhandlung auslöst, sondern der auf die Maxillen von dem Fühler ausgeübte Berührungsreiz. Dies läßt sich daran erkennen, daß das Verhalten der Putzantenne auch dann dasselbe bleibt, wenn die fremde Antenne statt geputzt aufgefressen wird.

  17. 17.

    Läßt man die durch Fühlerätzung in Gang gehaltenen Mundwerkzeuge einen fremden Fühler putzen und ätzt man dann den unberührten Fühler, so zeigt dieser dasselbe Verhalten, wie der erst geätzte Fühler.

  18. 18.

    Bei Fühlerputzen eines fremden Fühlers, das durch direkte Berührung der Mundwerkzeuge durch letzteren — also ohne vorhergehende Reizung eines Fühlers — hervorgerufen wurde, verhalten sich beide Fühler wie der nicht gereizte Fühler beim normalen Putzeffekt.

  19. 19.

    Die vorher erwähnte Putzhandlung ist nur dem Effekt nach — nicht aber der Bedeutung nach — ein Fühlerputzen. Sie ist, wie nachgewiesen wird, eine vorbereitende Handlung für den Freßakt. Auch die Putzhandlung der Maxille bei dem echten Fühlerputzen dürfte aus einem echten Freßakt entstanden sein, wie schon daraus hervorgeht, daß sie jederzeit in einen solchen umschlagen kann. Alle übrigen Partialhandlungen des Putzeffekts haben jedoch damit nichts zu tun.

  20. 20.

    Auch andere Berührungsreize als die, welche die Putzapparate auf einander ausüben, können den Putzeffekt beeinflussen. Durch eine bestimmte Art des Emporhaltens des Tieres, wobei die beiden vorderen Gehbeine völlig frei bleiben, entsteht absolute Regungslosigkeit. Ätzt man nun einen seiner Fühler zu wiederholten Malen, so erfolgt kein Fühlerputzen. Erst wenn es losgelassen wird, tritt der Effekt nachträglich ein.

  21. 21.

    Die Frage nach der Modifizierbarkeit der Fühlerputzhandlung veranlaßte zunächst eine Prüfung des normalen und auf künstliche Reizung hervorgerufenen Fühlerputzens. In allen Fällen beider Serien zeigte sich ein völlig normaler Putzgang. Außerhalb dieser Untersuchungen wurde jedoch gelegentlich einmal ein Tier beobachtet, das völlig regelwidrig die Antenne mit dem gegenüberliegenden Bein oder mit beiden Beinen putzte.

  22. 22.

    Starke Reizungen ergaben Putzen mit beiden Vorderbeinen, was sofort deutlich wurde, wenn man mit der Reizintensität wechselte. Der Grund hierfür mag in dem Überspringen des Reizes auf das Schwesterreflexzentrum liegen.

  23. 23.

    Da demnach für die Schabe die Möglichkeit vorliegt, die Putzhandlung auf verschiedene Weise auszuführen, so ergab sich die Frage, ob die Schabe imstande ist, sie bei Verhinderung des gewöhnlichen Weges in eine erfolgbewirkende Weise abzuändern. Dies ist in der Tat der Fall. Neben atypischen, aber immerhin noch als paranormal zu bezeichnenden Putzhandlungen, kamen aber nun noch andere vor, die in der freien Natur niemals auftreten konnten.

  24. 24.

    Bei Amputation eines Vorderbeines und Reizuhg der ungleichnamigen Antenne erfolgt, nach vielen Fehlleistungen mit dem Beinstummel, endlich die erfolgreiche Reaktion mit dem gleichnamigen Vorderbein.

  25. 25.

    Bei Amputation beider Vorderbeine und Reizung einer Antenne kann es zu einem in der freien Natur nie vorkommenden Ergreif en des Fühlers durch das ungleichnamige Mittelbein kommen.

  26. 26.

    Bei Amputation der ersten und mittleren Beinpaare und Reizung einer Antenne ist ein Ergreifen der letzteren durch eines der hinteren Beine, infolge der Art ihrer Gelenkung, nicht mehr möglich. In mehreren Fällen wurde jedoch beobachtet, daß sich dann der Kopf ganz besonders tief herabbeugte und der Mund die dicht an die Unterlage angepreßte Antenne ergriff und längere Zeit festhielt.

This is a preview of subscription content, log in via an institution to check access.

Access this article

Price excludes VAT (USA)
Tax calculation will be finalised during checkout.

Instant access to the full article PDF.

Literaturverzeichnis.

  1. Becher: Gehirn und Seele. 1911.

  2. Bethe, A.: Studien über die Plastizität des Nervensystems. I. Mitt.: Arachnoideen und Crustaceen. Pflügers Arch. 224, 793–820 (1930).

    Google Scholar 

  3. Bethe, A. u. Fischer, E.: Die Anpassungsfähigkeit (Plastizität) des Nervensystems. Handbuch der normalen und pathologischen Physiologie 15, II, 1045–1130 (1931).

    Google Scholar 

  4. Bethe, A. u. Woitas, E.: Studien über die Plastizität des Nervensystems. II. Mitt.: Coleopteren, Käfer. Ebenda, 821 bis 835.

  5. v. Buddenbrock, W.: Der Rhythmus der Schreitbewegungen der Stabheuschrecke Dyxippus. Biol. Zbl. 41, 4–48 (1921).

    Google Scholar 

  6. Brecher, G.: Beitrag zur Raumorientierung der Schabe, Periplaneta americana. Z. vergl. Physiol. 10, 496–526 (1929).

    Google Scholar 

  7. Driesch, H.: Philosophie des Organischen, II. Aufl. 1921.

  8. Forel, A.: Das Sinnesleben der Insekten. Eine Sammlung von experimentellen und kritischen Studien über Insektenpsychologie. München 1910.

  9. Graber, V.: Die Insekten. I. Teil: Der Organismus der Insekten. München 1877.

  10. Hase, A.: Über den Putzvorgang bei der Schlupfwespe Lariophagus distinguendus (Forst). Naturwiss. Wschr., N. F. 19, 81–87 (1920).

    Google Scholar 

  11. Hoffmann, R. W.: Untersuchungen über experimentelle Hypnose bei Insekten und ihre Beziehungen zum Berührungsreiz. I. Teil. Nachr. Ges, Wiss. Göttingen, Math.-physik. Kl. 1921, 71–87.

  12. Die experimentelle und biologische Hypnose bei Limnotrechus lacustris. II. Teil. Ebenda 1921, 193–216.

  13. Die reflektorischen Immobilisationszustände im Tierreich. Handbuch der normalen und pathologischen Physiologie 17, 690–713 (1926).

  14. Jennings, H. S.: Das Verhalten der niederen Organismen unter natürlichen und experimentellen Bedingungen. Deutsch von E. Mangold. Leipzig 1910.

  15. Loeb, J.: Die Orientierung der Tiere gegen die Schwerkraft der Erde (tierischer Geotropismus). Sitzgsber physik.-med. Ges. Würzburg 1888, 5–10.

  16. Patrick, Dorothy M.: Some effects produced by the hooding of Birds. Brit. J. exper. Biol. 4, 322–326 (1927).

    Google Scholar 

  17. Steiner, J.: Die Funktionen des Zentralnervensystems und ihre Phylogenie. III. Abt.: Die wirbellosen Tiere. Braunschweig 1898.

  18. Szymanski, J. S.: Abhandlungen zum Aufbau der Lehre von den Handlungen der Tiere. Pflügers Arch. 170, 1–244 (1918).

    Google Scholar 

  19. Turner, C. H.: Behavior of the common Roach (Periplaneta orientalis) on an open Maze. Kapitel: Toilet-Making-Habits. Biol. Bull. Mar. biol. Labor. Wood's Hole 25, 348–365 (1913).

    Google Scholar 

  20. Wille, J.: Biologie und Bekämpfung der deutschen Schabe, Phyllodromia germanica L. Berlin 1920.

Download references

Author information

Authors and Affiliations

Authors

Rights and permissions

Reprints and permissions

About this article

Cite this article

Hoffmann, R.W. Zur Analyse des Reflexgeschehens bei Blatta orientalis L.. Z. f. vergl. Physiologie 18, 740–795 (1933). https://doi.org/10.1007/BF00338367

Download citation

  • Received:

  • Issue Date:

  • DOI: https://doi.org/10.1007/BF00338367

Navigation