Strukturierte Befundung in der Radiologie [1,2,3] hat in den vergangenen 20 Jahren für bestimmte Fragestellungen – wie beispielsweise die multiparametrische Magnetresonanztomographie (MRT) der Prostata [4, 5] – auch in der klinischen Routine [6] einen festen Platz errungen. Das macht es uns möglich, die Verheißungen, mit denen sie einst angetreten ist, mit Praxiserfahrungen zu vergleichen. Gleichzeitig lässt sich aus der heutigen Perspektive und den gegenwärtigen Trends in der Medizininformatik besser ermessen, welche Rolle die strukturierte Befundung in Zukunft noch einnehmen könnte und welche Voraussetzungen dafür noch erfüllt werden müssen.

Weitgehender Konsens herrscht bei überweisenden Ärzten, wie etwa Onkologen, dass die strukturierte Befundung die Vollständigkeit, Reproduzierbarkeit und Übersichtlichkeit der Befundberichte stärkt [7,8,9,10,11] und zur Qualitätssicherung beiträgt. Doch ein weiterer Vorteil der strukturierten Befundung, der in klinischen Studien längst genutzt wird, findet auch in der klinischen Routine immer mehr Anerkennung: Die Zugänglichkeit strukturierter Daten für eine weiterführende, computergestützte Verwertung schafft neue Möglichkeiten, den Radiologen und die klinischen Zuweiser [12] in ihrer täglichen Arbeit zu unterstützen. Textgeneratoren, die automatisch gegliederte und reich illustrierte Befundberichte erzeugen [13] und die sich im Zusammenhang mit dem Stichwort „strukturierte Befundung“ oft als erstes aufdrängen, stellen einen einfachen Anwendungsfall dar, der das Potenzial der strukturierten Befundung aber bei weitem nicht ausschöpft.

Mehrwerte der strukturierten Befundung

Echte strukturierte Befundung aus der Sicht des Medizininformatikers bezeichnet das Erheben und Speichern von medizinischen Daten in einer Form, dass ein Computer die klinische Bedeutung jedes Datums auch im Anschluss an die radiologische Befundung im semantischen Kontext reproduzieren und weiterverarbeiten kann. Ein vollständig strukturierter Befundbericht umfasst alle Elemente des radiologischen Befunds, wie etwa die Beschreibung der Beobachtungen und pathologischen Veränderungen, Diagnosen und der Beurteilung sowie auch die quantitativen Analyseergebnisse und Messwerte. Er dokumentiert darüber hinaus die Beziehung dieser Informationen untereinander in einem standardisierten Datenmodell für den Zugriff durch vielfältige Informations- und Assistenzsysteme.

Somit generiert ein strukturiertes Befundungssystem Informationen, bei denen die klinische Bedeutung eines einzelnen Datenattributs klar definiert ist. Dadurch werden neue Anwendungen möglich, die weit über den eigentlichen Befundbericht für den Überweiser hinausgehen. Eine einfache Anwendung, die den Mehrwert der strukturierten Datenhaltung illustriert, sind z. B. empfängerspezifische Befundberichte: In strukturierter Form erhobene Daten erfüllen nämliche alle Voraussetzungen, um optimierte Befundberichte für verschiedene Befundempfänger automatisiert zu erstellen. Der klinische Zuweiser etwa erhält seinen üblichen, vollständigen und strukturierten Befundbericht, die Patienten eine korrekte, aber dennoch auch für medizinische Laien zugängliche Fassung und Tumorboards eine Zusammenfassung aller für die spezifische Erkrankung relevanten Informationen im Präsentationsformat. Dabei hat der Radiologe keinen Mehraufwand über die ursprüngliche Befunderhebung und -dokumentation hinaus.

Das Paradigma, medizinische Daten und Befunde so zu erheben und zu speichern, dass ihre klinische Bedeutung jederzeit nachvollziehbar und reproduzierbar bleibt, ermöglicht die Verknüpfung heterogener Datenquellen. Es gewährleistet auch die Langzeitnutzung der Daten und eine Integration zahlreicher Einzelvorgänge in einen Gesamtprozess, gerade bei längeren und verzweigten „patient journeys“. Sein Nutzen endet nicht in dem Moment, da ein – wenngleich auch hübsch bebilderter – Befundbericht freigegeben und an den Überweiser versandt wurde. Befundungssysteme, die nur als weiteres nicht integriertes Inselsystem neben dem PACS und RIS-Editor implementiert werden, lassen das weitaus größere Potenzial eines strukturierten Befundungssystems ungenutzt. Dieses liegt in seiner Bedeutung als Voraussetzung für die Interoperabilität – auch entlang der zeitlichen Dimension – unterschiedlichster klinischer Informationssysteme dank standardisierter Austauschformate. Ein automatisch erzeugter strukturierter Befundbericht ist nur eine der vielen Anwendungen, die durch die strukturierte Befunderhebung ermöglicht werden, und nicht einmal die interessanteste. Die strukturiert und reproduzierbar digitalisierten Daten eignen sich als Input für verschiedenartigste Assistenzsysteme bis hin zu künstlicher Intelligenz (KI) – selbst wenn diese Assistenzfunktionen zum Zeitpunkt der Befundung noch gar nicht existierten. Denn strukturiert gespeicherte Daten behalten ihren wissenschaftlichen und medizinischen Wert langfristig bei.

Die strukturierte Befundung eröffnet somit eine neue Qualität und Effizienz klinischer Routineprozesse [14, 15], indem sie traditionell zeitraubende und auch fehleranfällige Prozesse wie die Zusammenführung, Transformation und Analyse medizinischer Daten automatisierbar macht. Das gilt besonders für komplexe Krankheitsbilder mit einem mehrstufigen diagnostischen und therapeutischen Pfad, bei denen regelmäßig Befunde unterschiedlicher Abteilungen bzw. von unterschiedlichen Untersuchungszeitpunkten zusammenzuführen sind.

Radiologie als Pionier

In der Radiologie sind die Herausforderungen, die mit der Befunderhebung in komplexen Fällen einhergehen, wohlbekannt. Gerade die onkologische Radiologie [16, 17] erfordert üblicherweise die Einbeziehung umfangreicher klinischer Daten aus mehreren Abteilungen und zahlreicher Vorbefunde in die Erstellung eines radiologischen Befundberichts, der klinische Entscheidungsfindung optimal unterstützt. Oft sieht sich der Radiologe in der Situation, die Gesamtsicht der verschiedenen Konsiliarbefunde und der Patientenhistorie in seinem eigenen Befundbericht zumindest zur Kenntnis nehmen zu müssen; mit dem Tumorboard [18] ist diese Gesamtsicht an vielen Kliniken auch bereits institutionalisiert – in der Regel mit überzeugendem Erfolg für den Patienten, aber um den Preis hohen Arbeitsaufwands für das Zusammentragen der klinischen Daten.

Gerade hier setzt der eigentliche Mehrwert der strukturierten Befundung an. Eine gemeinsame Sprache aller klinischen Systeme – das Fernziel, für das die strukturierte Befundung eine notwendige Vorbedingung darstellt bedeutet, dass der Radiologe diese Zusammenführung nicht mehr manuell vollziehen müsste, sondern dabei durch automatisiert abfragbare, elektronische Patientenakten (EHR) und digitale Assistenzfunktionen unterstützt würde; die Vergleichbarkeit und Abbildbarkeit medizinischer Daten bei einer solchen Abfrage der Patientenakte wird dank der im strukturierten Datenmodell kodierten, semantischen Informationen mit Unterstützung des Computers direkt am Befundungsarbeitsplatz sichergestellt.

Regulatorische Rahmenbedingungen verändern sich

Die Verwendbarkeit klinischer Daten außerhalb des ursprünglichen Erhebungszwecks ist durch regulatorische Vorgaben stark beschränkt. Klinische Routine und klinische Forschung beispielsweise stellen oft organisatorisch und technisch getrennte Bereiche dar. Dabei waren Daten aus der klinischen Routine aufgrund schwer abschätzbarer Einflussfaktoren und Störeffekte für die Forschung bislang oftmals ohnehin nur mit Einschränkungen verwertbar; kontrollierte klinische Studien waren bislang erforderlich für einen statistisch rigorosen wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn. Mit dem Einsatz strukturierter Befundung schwindet jedoch diese Grenze zumindest in technischer Hinsicht; die hohe Reproduzierbarkeit eines strukturierten Befundberichts macht auch Daten aus der Patientenversorgung für die statistische Auswertung, aber natürlich auch für die Zusatzauswertung in anderen Informationssystemen nachvollziehbarer, wertvoller und zugänglicher.

In diesem Zusammenhang gibt es regulatorische Veränderungen mit der Absicht, das riesige Potenzial auswertbarer medizinischer Daten zu heben. Einige Landeskrankenhausgesetze erlauben bereits heute die Verwendung von in der Patientenversorgung gewonnenen Daten für die eigene Forschung. In den USA wurde 2016 der CURES Act [19] verabschiedet. Ein wesentliches Ziel von CURES ist es, die regulatorischen Belastungen zu verringern, die mit der Nutzung von elektronischen Patientenakten und Gesundheitsinformationstechnologie (Health IT) verbunden sind. Seine Bestimmungen konzentrieren sich auf die Förderung der Interoperabilität und setzen auch die Entwickler und Anbieter von Informationssystemen im Gesundheitswesen unter Zugzwang, den Austausch oder die Nutzung von elektronischen Gesundheitsinformationen – bei Zustimmung des Patienten – zu ermöglichen oder zumindest nicht aktiv – z. B. durch proprietäre, geschlossene Formate – zu behindern. Dafür wurde ein neuer Standard, der „United States Core Data for Interoperability“, definiert, der strukturierte Datenschemata für den Patientenaustausch zwischen unterschiedlichsten Informationssystemen ermöglichen soll. Am 1. Juli 2021 traten mit den „Interoperability and Patient Access“-Regularien teilweise verbindliche Richtlinien für Schnittstellen für den Datenaustausch zwischen Akteuren im Gesundheitswesen (auf Basis von HL7 FHIR) in Kraft, die eine landesweite Standardisierung der Kommunikation zwischen Gesundheitsversorgern und Kostenträgern etablieren. Auch die Möglichkeit des Direktzugriffs durch den Patienten selbst ist vorgesehen. Dies führt dazu, dass ein neuer Markt für Gesundheitsapps – die digitalen Gesundheitsanwendungen (DIGA) – entsteht, die auf den Endgeräten der Patienten laufen. Aber auch ein Austausch zwischen Klinik und Praxis ist mit der Erlaubnis des Patienten direkt möglich, ohne dass dafür endpunktspezifische Schnittstellen ausprogrammiert werden müssten. Auch in Deutschland ist eine Ausweitung des regulatorischen Rahmens für den Datenaustausch im Gesundheitswesen anhand des „E-Health-Gesetzes“ von 2015 und der auf dieser Grundlage ins Leben gerufenen „gematik“ [20] erkennbar.

Die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) wird bisweilen noch als Hemmnis für die Nutzung der Potenziale eines interoperablen Gesundheitssystems gesehen – doch die strukturierte Befundung und Datenhaltung sind sehr wohl in der Lage, auch mit strengen Datenschutzanforderungen zu koexistieren und stellen dabei eigene Mittel bereit, Daten vielfältig zu nutzen, ohne Datenschutzstandards außer Acht zu lassen. Insbesondere erlaubt die strukturierte Befundung gerade dadurch, dass Daten leichter aus dem ursprünglichen Erhebungskontext herausgenommen werden können und dank der im strukturierten Datenmodell kodierten semantischen Informationen trotzdem interpretierbar bleiben, eine frühzeitige, sichere Anonymisierung bei weitgehendem Erhalt ihres wissenschaftlichen Wertes. Eine Rechtsgrundlage für die Überführung der Daten in den Forschungskontext und die Anonymisierung muss natürlich vorhanden sein. Solange Daten hingegen im Kontext der Patientenversorgung verbleiben, stellt eine strukturierte Datenhaltung sicher, dass den vielfältigen Auskunfts‑, Lösch- und Berichtigungspflichten, welche die DSGVO vorsieht, problemlos Rechnung getragen werden kann.

Die Industrie reagiert und treibt

Begleitet werden diese regulatorischen Bewegungen durch Weiterentwicklungen technischer Standards, die sowohl als Reaktion auf das gesteigerte Interesse an der Datenstrukturierung als auch als Enabler für deren weitere Verbreitung angesehen werden können. Der FHIR-Standard eröffnet einen neuen, herstellerunabhängigen Weg, Daten zwischen zwei Systemen zu übertragen. Der wichtigste technische Unterschied im Vergleich zu seinem Vorgänger HL7 [21] ist, dass die im KIS hinterlegten Informationen hier mit etablierten Webstandards abgefragt und nicht mehr, wie bisher üblich, per Nachricht an unterschiedliche Empfänger geschickt werden. Somit haben Systeme, die den FHIR-Standard nutzen, endlich auch Zugriff auf Informationen, die erhoben wurden, bevor das System in Betrieb genommen wurde. Zudem werden dank FHIR Daten nicht mehr umfassend und prophylaktisch an alle weiteren Systeme versandt und dort redundant gespeichert, nur weil ein weiteres System potenziell bestimmte Daten verarbeiten können soll – ein sehr wichtiger Paradigmenwechsel.

Damit jeder Teilnehmer verstehen kann, wie die Daten einer Applikation zu interpretieren sind, gibt es verschiedene weltweit nutzbare Plattformen von Standardisierungsinitiativen, wie beispielsweise Simplifier.net und hl7.org, die vereinheitlichte Datenprofile zur Verfügung stellen. Auch die Integrating-the-Healthcare-Enterprise(IHE)-Plattform [22] hat mit MRRT [23] einen Standard für die strukturierte radiologische Befundung vorgestellt. Trotz unterschiedlicher technischer Konzepte (beispielsweise kommt bei IHE-MRRT zur Beschreibung der strukturierten Befundvorlagen HTML zum Einsatz, während die meisten anderen Initiativen Technologien verwenden, die dediziert für eine Datenmodellierung vorgesehen sind) steht dahinter dasselbe Konzept: Jeder kann hier eigene Profile einstellen und verwalten und somit zu einer echten Interoperabilität beitragen. Hier ist die vom BMBF geförderte Medizininformatik-Initiative als ein Beispiel anzuführen, die ihre Profile auf Simplifier.net veröffentlicht und in allen Deutschen Unikliniken zum Standard für den Datenaustausch macht. Konkret ist es etwa mit dem Laborprofil der Initiative möglich, in einem der teilnehmenden Häuser den PSA-Wert eines Prostata-Patienten abzufragen. Dieser Wert kann dann automatisiert mit dem vom Radiologen strukturiert erhobenen Volumen der Prostata zu einer PSA-Dichte verrechnet werden.

Mittlerweile gibt es Bemühungen (beispielsweise seitens der IHE), nicht nur für klinische Befunddaten, sondern auch für den Austausch abgeleiteter Datenprodukte, beispielsweise trainierter neuronale Netze, Standards zu etablieren.

Eine weitere Neuerung betrifft den ebenfalls auf FHIR aufbauenden Standard SMART on FHIR. Durch ihn kann über ein führendes System, meist ein KIS, eine SMART-on-FHIR-Applikation gestartet werden. Dabei bekommt sie beim Start automatisiert den aktuell im führenden System ausgewählten Patienten und den bestehenden Nutzerlogin mitgeteilt. Eine erneute Anmeldung in der gestarteten Applikation entfällt. Der Datenschutz ist von Beginn an gewährleistet, da jede Applikation nur den aktuellen Patientenkontext des federführenden Systems im Zugriff hat. Der Aufwand für die Klinik-IT zur Einbindung einer neuen Applikation reduziert sich meist auf ein Freischalten in der KIS Managementapplikation. Durch SMART on FHIR wird es für Hersteller sehr viel einfacher, neue Produkte zu implementieren und mit geringem Aufwand in viele Krankenhäuser zu bringen. Des Weiteren öffnet dieser Standard den Marktzugang für Start-ups und kleinere Unternehmen und schafft Wettbewerb. Nicht zuletzt können auf diese Weise nun hochspezialisierte Nischenapplikationen wirtschaftlich in Betrieb genommen werden.

Die Industrie hat das Potenzial digitaler Dienste in einem Ökosystem interoperabler digitaler Daten aufgegriffen und treibt sie wiederum selbst voran. Mehrere Medizintechnikhersteller haben begonnen, Plattformen auf Basis von SMART on FHIR aufzubauen. Beispiele solcher „App-Stores“ für Krankenhausinformationssysteme sind etwa der „App Orchard“ von Epic [24] oder die „App Gallery“ von Cerner [25], die aktuell hauptsächlich in den USA zu finden sind.

Mit „Snke OS“ (Abb. 1) hat die Brainlab AG in München ein Konzept für eine offene, KIS-unabhängige Plattform für die Vernetzung unterschiedlichster Dienste entlang medizinischer Behandlungspfade vorgestellt. Der Kern der Plattform umfasst ein digitales Patientenmodell, das Anwendern, externen Anwendungen oder medizinischen Geräten als Informationsquelle dient und gleichzeitig durch deren erzeugte Informationen kontinuierlich weiter lernt: Somit können dem Radiologen wertvolle Kontextinformationen, z. B. zur Vorgeschichte des Patienten während der strukturierten Befundung zur Verfügung gestellt werden. Befundungsergebnisse fließen automatisch in die chirurgische Planung und Entscheidungsfindung mit ein. Statt einzelner Insellösungen, für die ansonsten in jeder einzelnen Klinik individuelle Schnittstellen ausprogrammiert oder Daten gar händisch über Systemgrenzen kopiert werden müssten, entstehen interoperable Netzwerke von Anwendungen, die auf gemeinsame Standards aufsetzen und deren Architektur mit überschaubarem Anpassungsaufwand auf andere Häuser übertragbar ist.

Abb. 1
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SnkeOS, Fallbeispiel: radiologische Folgeuntersuchung für einen Gehirntumorpatienten. (Screenshot mint LesionTM/Analytics: mit freundl. Genehmigung, © Mint Medical GmbH, alle Rechte vorbehalten. Screenshot VisionTree: mit freundl. Genehmigung, © Brainlab AG, alle Rechte vorbehalten)

Im Idealfall eröffnen die strukturiert verarbeiteten Daten den Medizintechnikanbietern unter Wahrung von Datenschutz und Beachtung der Eigentumsrechte an den Daten die Chance, die Arbeitsprozesse der klinischen Anwender besser zu verstehen und Medizinprodukte entsprechend zu optimieren, um sich noch besser in den klinischen Alltag einzupassen.

Forschung und Patientenversorgung profitieren

Dank solcher Entwicklungen eröffnet eine konsequente strukturierte Befundung neue Perspektiven für die täglichen Arbeitsabläufe in der Patientenversorgung. Mit ihr werden Patientendaten in einer Weise erhoben und bereitgestellt, die für die Verarbeitung in Assistenzsystemen auch über die Hersteller hinweg geeignet sind. Gleichzeitig profitiert der Radiologe davon, aus einer Vielzahl solcher Systeme unterschiedlicher Anbieter dasjenige auswählen zu können, das sich am besten in seinen Arbeitsablauf einfügt – statt seine Daten nur innerhalb geschlossener Systeme zu finden oder von De-facto-Standards abhängig zu sein, die von globalen IT-Monopolisten, wie etwa Amazon oder Facebook, geschaffen werden. Dazu müssen natürlich nicht nur Forschungsdaten, sondern auch die in der täglichen Routine erhobenen Daten als potenzieller Input für eine Assistenzfunktion in gleicher Weise strukturiert sein, wenn der Radiologe Nutzen aus dem Ökosystem von Unterstützungs- und Assistenzsystemen ziehen will, das um ihn herum wächst.

Das Potenzial dieser Entwicklungen auf regulatorischer ebenso wie auf technischer Ebene für die Patientenversorgung und medizinische Forschung der Zukunft lässt sich anhand einiger innovativer Projekte der jüngeren Vergangenheit und Gegenwart ermessen, die den Nutzen der Vernetzung und Interoperabilität klinischer Daten sowohl abteilungsübergreifend als auch klinikübergreifend hervorheben und damit im Großen die Mehrwerte interdisziplinärer Kollaboration betonen, die im Kleinen bereits in jedem Tumorboard zu sehen sind. Gleichzeitig zeigen sie aber auch den noch zurückzulegenden Weg auf. Zwei aktuelle Beispiele werden im Folgenden kurz aufgezeigt.

Bei einem mittelgroßen Klinikum konnte unlängst ein richtungsweisender interdisziplinärer Befundungsworkflow für das Prostatakarzinom etabliert werden (Abb. 2 und 3). Mehrwerte ergeben sich aus einer Verknüpfung strukturierter Daten entlang der Diagnostik. Hierzu zählen allgemeine Patienteninformationen (Genetik, Alter), Labordaten (PSA) sowie Radiologie (Lokalisation potenziell signifikanter Herde) und Pathologie (Ort der Biopsieentnahme, pathologischer Befund als strukturierte Information – Gleason-Score etc.). Durch diesen Ansatz kann der radiologische Beitrag zur Gesamtdiagnostik systematisch verbessert und objektiv und evidenzbasierend nachgewiesen werden. Die interdisziplinäre Zusammenarbeit wird unterstützt durch webbasierte Formulare, die in entsprechende Workflows eingebunden sind; durch die Implementierung von HL7-Schnittstellen können Daten teilweise direkt zwischen den unterschiedlichen Informationssystemen ausgetauscht werden.

Abb. 2
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Beispielhafter interdisziplinärer Workflow mit Austausch strukturierter Daten mit Beteiligung von Radiologie, Urologie und Pathologie

Abb. 3
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Der vergrößerte Bildausschnitt aus der radiologischen Befundungssoftware mint Lesion™ (Mint Medical GmbH, Heidelberg) zeigt den pathologischen Befundbericht integriert in die strukturierte Befundung nach PI-RADS 2.1. (Mit freundl. Genehmigung, © Mint Medical GmbH, alle Rechte vorbehalten)

Im Rahmen des „Netzwerks Universitätsmedizin“, das durch die Bundesregierung als Antwort auf die Bedrohung durch das SARS-CoV-2-Virus ins Leben gerufen wurde, ist als Teilprojekt das „RACOON“-Netzwerk entstanden – eine Kooperation von 36 deutschen Universitätskliniken, die im Rahmen einer gemeinsamen technischen Infrastruktur, einem Data-Governance-Konzept und einem über alle Standorte einheitlichen Datenmodell und Befundungsworkflow Bilddaten von COVID-19-Erkrankungen erheben, befunden und gemeinsam auswerten – ein weltweit einmaliges radiologisches Forschungsnetzwerk, dessen Interoperabilität ohne die konsequente Umsetzung des Paradigmas der strukturierten Befundung undenkbar gewesen wäre.

Ein an allen Standorten eingesetztes Befundungstemplate (Abb. 4) garantiert die quantitative Vergleichbarkeit aller Befundparameter bereits vom Moment der Befundung an; der Aufwand für ein nachträgliches Mapping der Datenschemata von 36 Kliniken auf ein einheitliches Datenmodell entfällt. Auch in der longitudinalen Betrachtung spielt die strukturierte Befundung hier ihre Vorteile aus: Betrachtungen der bildbasierten Befunde im zeitlichen Verlauf sind aufgrund der reproduzierbaren Methodik und der engen Verknüpfung zwischen Bild, Befund und Diagnose problemlos realisierbar. Mit Projekten wie RACOON tritt die Radiologie in eine Ära ein, in der eine multizentrische Zusammenarbeit verschiedener Kliniken nicht nur fallweise für individuelle klinische Studien zustande kommt, sondern zum Normalfall wird, der auf eine permanente technische Infrastruktur zurückgreifen kann.

Abb. 4
figure 4

COVID-19 EDC auf der mint Lesion™ Software-Plattform. In diesem Beispiel hatte der Patient eine bestätigtes COVID-19 und unterzog sich zu zwei aufeinanderfolgenden Zeitpunkten einer Thorax-Computertomographie (CT). Die Bilder wurden mit dem mint EDC von einem erfahrenen Radiologen beurteilt und ausgewertet. Die Beurteilung und Auswertung erfolgt direkt auf den primären Bilddaten, unterstützt durch die automatische regelbasierte Auswertung des Krankheitsverlaufs. Der Patient wurde gleich in eine klinische Machbarkeitsstudie aufgenommen, ohne dass eine weitere Datenerfassung oder redundante Dokumentation notwendig war. (Mit freundl. Genehmigung, © Mint Medical GmbH, alle Rechte vorbehalten)

Die Zugänglichkeit der Befunde für die computerisierte Auswertung bedeutet natürlich auch, dass Auswertungen und Statistiken – was in der Wirtschaft als „business intelligence“ bekannt ist – quasi in Echtzeit über den gesamten multizentrischen Datenbestand zur Verfügung stehen (Abb. 5).

Abb. 5
figure 5

Multizentrische Datenaggregation in einem Echtzeit-Analyse-Dashboard. Überblick über die Ad-hoc-Nutzungsanalyse von COVID-19, einschließlich 283 Patienten (oben links) aus 8 europäischen Krankenhäusern. (Mit freundl. Genehmigung, © Mint Medical GmbH, alle Rechte vorbehalten.)

Erfahrungen aus diesen Projekten zeigen, dass gängige Schnittstellenstandards im klinischen Umfeld wie HL7 zwar eine notwendige Bedingung sind, um Mehrwert durch Vernetzung zu schaffen, dass sie alleine jedoch keine echte Interoperabilität generieren, solange die Schemata der über diese Schnittstellen ausgetauschten Daten nicht hinreichend standardisiert und veröffentlicht sind. Die Ansprechbarkeit eines digitalen Dienstes über ein Netzwerk garantiert noch keine Interoperabilität. Denn auch ein weltweites Telefonnetz stellt keine ungehinderte Kommunikation zwischen beliebigen Teilnehmern auf dem Globus sicher. Die Interpretierbarkeit der Daten zwischen allen Sendern und Empfängern ist eine zusätzliche Anforderung – sie müssen dieselbe Sprache sprechen, und das bedeutet nicht nur die Verwendung eines standardisierten Wörterbuchs oder Codierungssystems, sondern auch die Einbettung sämtlicher Daten in einen Kontext. Der Individualentwicklungsaufwand dafür, Daten unterschiedlicher Herkunft nachträglich in ein einheitliches Datenschema zu transformieren, also quasi für jedes Gespräch einen Simultandolmetscher zu bestellen, steht der Skalierung entgegen – ein klassisches, in der Informatik hinreichend bekanntes Problem der Datenfusion.

Das Paradigma der strukturierten Befundung, bei dem eine Beobachtung, ein Messwert oder eine Diagnose schon ab dem Moment der Entstehung am Befundungsarbeitsplatz nicht isoliert steht, sondern durch einen gemeinsamen Standard im Datenmodell selbst hinsichtlich seiner Bedeutung beschrieben wird, löst dieses Problem schrittweise. Denn durch die strukturierte Befundung wird die technische Schnittstellendefinition durch vereinheitlichte Beschreibungsschemata auf der Applikationsebene ergänzt und so ein direkter Austausch von Daten einschließlich ihres semantischen Kontexts zwischen den verschiedenen klinischen Systemen ermöglicht.

Während all diese Bewegungen eine klare Richtung andeuten, in die sich die Radiologie bewegt, ist nicht zu vergessen: HL7 FHIR und andere Schnittstellen, sowie das E‑Health-Gesetz und andere regulatorische Maßnahmen, bilden nur den Boden für ein datengetriebenes Ökosystem in der Medizin – strukturierte Daten, die über Systemgrenzen hinweg reproduzierbar und interpretierbar bleiben, sind das Wasser und die Nährstoffe, die für dieses Wachstum unverzichtbar sind. Die Tage, in denen Befunde außerhalb ihres ursprünglichen Entstehungskontextes nicht mehr interpretier- und verwertbar sind und in denen für jede Kommunikation zwischen zwei klinischen Systemen individuelle Schnittstellen erstellt werden mussten, sind gezählt.

Die Radiologie ist – aufgrund der überragender Bedeutung von schwer quantifizier- und objektivierbaren Daten – seit jeher ein Prüfstein für die strukturierte Befundung, gleichzeitig aber aufgrund ihrer herausragenden Stellung im diagnostischen Prozess ein prädestinierter Knotenpunkt für die synoptische, abteilungsübergreifende Sichtung und Bewertung medizinischer Daten und wird von der im Hintergrund verlaufenden Vernetzung klinischer Systeme auf Basis strukturierter Daten überdurchschnittlich profitieren. So dürften die zahlreichen Assistenzfunktionen, die das digitale Ökosystem bereitstellen wird, bald ein unverzichtbarer Helfer dabei werden, den immer schneller wachsenden Stand des medizinischen Fachwissens und die abteilungsübergreifende Krankengeschichte des Patienten holistischer und somit effizienter im Blick zu halten. Die gemeinsame Sprache – die von Anfang an unter dem Paradigma strukturierter Befunde erstellten, gespeicherten und kommunizierten Daten – werden aber notwendige Voraussetzung sein, an diesem revolutionären Ökosystem teilhaben zu können.

Fazit für die Praxis

  • Bei der Entscheidung über die Einführung strukturierter Befundungssysteme sollte nicht nur die radiologische Befundung und Berichtserstellung selbst berücksichtigt werden.

  • Vielmehr verbessern diese Systeme die Kommunikation innerhalb der Abteilung sowie mit den zuweisenden Ärzten und dem Patienten selbst.

  • Darüber hinaus sind sie Enabler für eine Interoperabilität klinischer Systeme entlang des gesamten diagnostischen und therapeutischen Pfads.