LFI Magazin 4/2020 D

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D 8,90 € A 9,90 € L 10,10 € I 10,20 € CHF 15,60

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L E I C A F O T O G R A F I E I N T E R N AT I O N A L

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Toni Schneiders Felipe Romero Beltrán Tytus Grodzicki

Kiên Hoàng Lê


C I R I L JAZB EC traf im menschenleeren Ljubljana auf den Studenten Mehdi Elouissi, der auf dem Weg zu seiner Freundin war


L I E B E L F I - F R E U N D E , L I E B E L E I C A- FA M I L I E , ich hoffe, Sie alle sind sicher und gesund! Bereits seit Ende Februar haben wir bei Leica die Situation sehr genau beobachtet und frühzeitig Konsequenzen gezogen: Die Produktion musste fast vollständig erliegen, ein Großteil der Leica-Belegschaft ist in Kurzarbeit. Alle Maßnahmen dienen der Sicherheit unserer Mitarbeiter. Auch bei LFI mussten wir einen drastischen Schritt gehen: Das erste Mal seit Erscheinen der LFI 1949 wird die Ausgabe 4/2020 ausschließlich digital erscheinen. Diese Sparmaßnahme dient dem Überleben des Magazins, wir hoffen auf Ihr Verständnis dafür. Immer wieder höre ich von Fotografenfreunden aus aller Welt, dass sie sich auf die Fotografie fokussieren – gerade jetzt in der Krise mit Quarantäne und Social Distancing hilft die Kunst der Fotografie dabei, etwas zu schaffen, das uns ein bisschen besser fühlen lässt! So manches davon begleitet uns in der LFI Galerie, unseren Social-MediaKanälen oder auf dem LFI Blog. Das Leben geht weiter und wir alle hoffen, dass diese seltsame und fordernde Situation bald vorüber gehen möge ohne zu viel Leid und hoffentlich ohne Verlust! Wir wollen nach vorne schauen – wie wir es in den über 150 Jahren Unternehmensgeschichte immer getan haben – und bereiten neue Projekte und Produkte für Sie vor. Seien Sie versichert, dass das alles immer auf unserem Anspruch basiert: das Wesentliche! Bleiben Sie sicher und gesund, wo auch immer Sie sind! Herzlichst, Ihr Dr. Andreas Kaufmann Vorsitzender des Aufsichtsrats der Leica Camera AG Salzburg, 6. April 2020


LFI BLOG

From Home I N Z E I T E N VO N C O R O N A

Wir wollten wissen, wie Fotografen mit den Einschränkungen dieser Tage umgehen. Wie schaffen Sie es, trotzdem kreativ zu sein, und wie definieren sie ihre Bildsprache jetzt? Daraus entstand eine Blog-Serie und eine GalleryChallenge. Einige Ergebnisse sehen Sie hier.

Sehen Sie mehr unter lfi-online/blog/fromhome

CO RE N TIN FO H LE N begegnet der niederschmetternden Situation des kompletten Lockdowns in Frankreich mit Humor. Jeden Tag postet er ein oder zwei Selbstporträts

VI KTOR I A S ORO CHINSK I beobachtet in Berlin, dass die Menschen neue Wege finden, sich im öffentlichen Raum zu bewegen und dabei Abstand zu halten J O F I S C H E R nahm dieses Selbstporträt in einer von Existenzangst und Panik geprägten Stimmung in Schweden auf, kurz nachdem die Corona-Krise einsetzte (rechts)


CE D R I C RO UX hat seine Pariser Wohnung seit Wochen nicht verlassen. Statt auf der Straße fotografiert er, wie das Licht durch die Fenster fällt. Das Model: seine Frau Elisabeth (rechts) AL I SA M A RTY N OVA empfindet die Situation in ihrer Wahlheimat Italien wie einen Zwischen- oder Traumzustand. Diese Thematik zieht sich auch durch ihr Projekt

TO M AS O BA L D E S SA RINI lebt seit über elf Jahren in Berlin. Derzeit gleiche die sonst so belebte Stadt einer leeren Filmkulisse: ein historischer Moment, den er festhalten möchte


RUI MIGUE L C UN H A befindet sich in Portugal mit seiner Frau, zwei Kindern und einer Katze in häuslicher Quarantäne. Manchmal kommt Besuch von Spiderman (links) STE FAN O SC H IRATO aus Italien fotografiert seine Zwillingstöchter seit ihrer Geburt. Das fällt nun immer schwerer, da sie sich Sorgen machen und daheim eingeschlossen fühlen

SA RA H M . L E E verließ ihre Quarantäne nur, um bei einer Freundin selbstgenähte Schutzmasken abzuholen. Lediglich Hund Frieda durfte den Sicherheitsabstand missachten

RAUL C AÑ IBAN O zeigt, wie sich seine Nachbarn in Marianao, einem Stadtteil von Havanna, während der CoronaQuarantäne die Zeit mit Domino vertreiben (rechts)




LFI 4. 2020

P O RT F O L I O L I G H T B OX

F / S TO P

90 | LFI . GALERIE

76 | S Y S T E M K A M E R A S

Über 25 000 Fotografen präsentieren in der LFI-Galerie mehr als eine halbe Million Bilder. In dieser Ausgabe u. a. mit dabei: eine chinesische Generalin und glühende Berge

Aus Wetzlar kommen derzeit gleich vier unterschiedliche Kamerasysteme. LFI gibt einen Überblick über die drei Systeme ohne Messsucher: S, SL und die CL/TL2 mit APS-C-Sensor

P H OTO

82 | L E I TZ AU C T I O N Am 13. Juni dieses Jahres soll in Wien die 36. Leitz Photographica Auction stattfinden. LFI stellt einige Preziosen der Auktion vor, darunter ein Prototyp der berühmten Nullserie

100 | BÜCHER

Tytus Grodzicki: aus seiner Serie Deglet Nour

8 6 | F I N E -A R T P R I N T Den Auftakt der neuen LFISerie über Fine-Art-Papiere bildet die Übersicht zu einem der bekanntesten Vertreter der Gattung: das Barytpapier

From Home 2 | I N Z E I T E N VO N C O R O N A

Die Pandemie verändert alles, auch den fotografischen Blick – auf sich selbst und auf die Welt draußen, die Welt hinter dem Fenster. Eine Auswahl

Kiên Hoàng Lê 12 | ODE AN LICHTENBERG

Das SL-System ist das jüngste der Kamerasysteme aus Wetzlar

Lichtenberg zählt nicht zu den angesagten Vierteln Berlins – eine sozialdokumentarische Studie zu einem von asiatischen Einflüssen geprägten Stadtteil

Tytus Grodzicki

Neue Publikationen von Martin Schoeller, René Groebli, Henrik Spohler und Benita Suchodrev. Der Ausstellungsband African Cosmologies versammelt eine faszinierende Bestandsaufnahme afrikanischer Fotografie 1 0 4 | I N T E RV I E W Helena Janeczek, Autorin des Romans Das Mädchen mit der Leica über die Kriegsfotografin Gerda Taro, spricht über das Erbe Taros und ihren Anteil an der „Legende Capa“ 108 | MEIN BILD Torsten Andreas Hoffmann über eine Aufnahme, die ihm beinahe nicht gelungen wäre 108 | IMPRESSUM

28 | DEGLET NOUR

Als Teenager lebte der Fotograf zwei Jahre in Algerien. Über 30 Jahre später reiste er zweimal nach Nordafrika und traf auf ein verändertes Land

Felipe Romero Beltrán 46 | NOMEN NESCIO

Das schreckliche Erbe des Bürgerkriegs – eine elegische Serie über das Leben am kolumbianischen „Totenfluss“ Río Magdalena

Toni Schneiders 62 | S C H AU T H E R !

Er war einer der renommiertesten Fotografen im Deutschland der Nachkriegszeit. Ein neuer Bildband lädt zu seiner Wiederentdeckung ein

COVER: Kiên Hoàng Lê, aus seinem Langzeitprojekt in Berlin-Lichtenberg

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L F I .G A L L E R Y

METROPOLIS CHALLENGE D I E L I C H T E R D E R G R O S S S TA D T

In Busan, Südkorea, machte Li Keith seine Aufnahme City of Lights

Während wir diese Ausgabe vorbereiten, gibt es weiterhin in vielen Ländern Einschränkungen der Bewegungsfreiheit, in anderen herrscht sogar eine strikte Ausgangssperre. Als direkte Reaktion darauf haben wir im März in der LFI.Gallery die #fromhome Challenge ins Leben gerufen, um Ihrer Kreativität auch in dieser schwierigen Lage einen Impuls zu geben. Auf diesem Wege möchten wir uns bei Ihnen für die zahlreichen, anspruchsvollen und zum Teil bewegenden Einreichungen sowie Ihren Zuspruch für die Aktion bedanken. Nun starten wir eine neue Challenge und hoffen, dass die Einschränkungen etwas gelockert wurden und Sie sich wieder frei bewegen können, um die Facetten der Städte dieser Welt für die LFI.Gallery einzufangen. Sollte es Ihnen weiterhin nicht möglich sein, so können Sie auch Ihre Archive nach passenden Fotos durchsuchen und Ihre besten Motive zum Thema Metropolis einreichen. www.lfi.gallery

CONTRIBUTOR

Mit den Protagonisten seiner Lichtenberg-Serie ist der Fotograf auch ins Gespräch gekommen und hat 2019 Teile der gefilmten Interviews in seiner Ausstellung im JapanischDeutschen Zentrum Berlin gezeigt. „Ich wollte die Menschen über ihr eigenes Viertel sprechen lassen. Mir geht es in den Projekten nicht um Fotografie um der Fotografie Willen. Ich versuche eine passende Form für die Geschichten zu finden. Ich könnte mir auch eine multimedial aufbereitete Website dazu vorstellen.“ 10 |

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T Y T U S G R O DZ I C K I Gerade in diesen Zeiten erfahren die Bücher von Albert Camus neue Beachtung. Die Schriften des Literaturnobelpreisträgers haben nicht zuletzt die europäische Sicht auf Algerien geprägt. Doch weder seine Literatur noch aktuelle Nachrichten spielen für die Serie Deglet Nour des polnischen Fotografen Tytus Grodzicki eine Rolle. Sie stellt vielmehr eine sehr persönliche Auseinandersetzung mit den Erinnerungen des Fotografen und dem Algerien unserer Gegenwart dar.

F E L I P E R O M E R O B E LT RÁ N

„Fotografie ist immer eine hervorragende Ausrede, um sich Themen zu nähern, für die man sich interessiert“, erzählt Felipe Romero Beltrán. Der „Totenfluss“ Río Magdalena beschäftigt ihn bereits seit seiner Kindheit. Im Zuge der Arbeit an seinem Projekt hat er viel über die Komplexität des Krieges in Kolumbien erfahren. Nicht zuletzt gelang es ihm, eine komplett neue Herangehensweise an die Erzählung solch komplexer Thematiken zu entwickeln und umzusetzen.

Fotos: © Lêmrich Studio, © Lukasz Szamalek, © Felipe Romero Beltrán

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LEICA S

Kiên Hoàng Lê ODE AN LICHTENBERG

Überall in Berlin gibt es Baustellen und im Stadtteil Lichtenberg vielleicht sogar noch ein paar mehr. Hoàng Lê arbeitet an der Langzeitstudie eines vielschichtigen, von asiatischer Kultur geprägten Lebensraums.

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Von oben links im Uhrzeigersinn: Felix, Kurator und Betreiber der Galerie Friedrichshain, mit seiner Freundin; verfallene Plattenbauten aus DDR-Zeiten; Hieu Ngyuen engagiert sich für den vietnamesischen Kulturverein Vietsoc; alte Architektur in Alt-Lichtenberg vor Hochhäusern. Rechte Seite: Eingang zum Gelände des Dong Xuan Centers an der Herzbergstraße

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Von oben links im Uhrzeigersinn: Konzert zum Neujahrsfest in einem Restaurant im Dong Xuan Center; Wohnmaschinen an der Zingster Straße; der Syrer Achmed, Doktorand der Archäologie, lebt mit seiner russischen Frau und Kindern in Lichtenberg; Mietshäuser unterhalb der Frankfurter Allee. Linke Seite: Szene vom Dach eines Garagenkomplexes, in dem sich Werkstätten befinden

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Von oben links im Uhrzeigersinn: Wachturm am früheren Stasi-Gefängnis Hohenschönhausen; Tischler Jürgen Zehnpfennig auf dem Dach seiner Werkstatt; Einfamilienhäuser aus der Nachkriegszeit; die ehemalige Lehrerin Martina Zimmermann wohnt seit Errichtung der Plattenbauten in Hohenschönhausen. Rechte Seite: Halle auf dem Gelände des Dong Xuan Centers

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K I Ê N H OÀ N G L Ê Geboren 1982 in Hanoi, aufgewachsen am Bogensee in der Ex-DDR. Studierte Fotojournalismus und Dokumentarfotografie in Hannover, Auslandssemester in Hiroshima und ein Kurs Advanced Storytelling in Aarhus. Workshops bei Anders Petersen und Antoine D’Agata. Kiên Hoàng Lê realisiert als Lêmrich Studio mit seiner Partnerin Alina Emrich fotografische und Video-Projekte. H OA N G L E .D E LE M R I C H.ST U D I O EQUIPMENT: Leica S2 mit Summarit-S

1:2.5/70 Asph (CS) und Leica SL mit Vario-Elmarit-SL 1:2.8–4/24–90 Asph zum Filmen der Interviews

Wer wissen will, wo Berlin arm – vor allem an kommerzialisiertem kulturellen Leben – aber nicht so sexy ist, muss sich nach Lichtenberg begeben; ein Stadtteil wie ein hässliches Entlein. Er ist geprägt von Industriekultur aus Gründerzeiten, dem ehemaligen Stasi-Gefängnis Hohenschönhausen, reichlich Plattenbauten aus DDR-Zeiten und einer großen asiatischen Community. Wenig Gentrifizierungspotenzial, aber viele Baustellen und berühmt für sein kommerzielles Herz: das über die Stadtgrenzen hinaus bekannte Dong Xuan Center an der Herzbergstraße, Berlins größter Asiamarkt. Die Hauptstädter sprechen von „Klein-Hanoi“. „Đòng Xuân“ bedeutet auf Deutsch „Frühlingswiese“, also ziemlich genau das Gegenteil dessen, was das Gelände mit den elf Markthallen darstellt. Hier blüht der Handel mit allerlei asiatischen Gütern. Der 160 000 Quadratmeter umfassende Komplex mit etwa 250 Händlern ist das größte Einkaufszentrum seiner Art in Westeuropa. An und um das Gelände herum liegt seit ein paar Jahren das fotografische Revier des vietnamesischstämmigen Fotografen Kiên Hoàng Lê. „Lichtenberg ist kaum auf dem Radar. Es gibt noch Räume, in denen sich Dinge in der Grauzone entwickeln können. Es ist genau das, was mich anzieht und weiter daran arbeiten lässt.“ Im Jahr 2014 war Hoàng Lê mit den ersten Ideen und Skizzen zu der Serie beschäftigt, die er als Langzeitprojekt angelegt hat. „Es geht um die Veränderung des Viertels. Lichtenberg war erst ein Hochsicherheitsgebiet in der DDR, in den Nachwendejahren verschwand es eher in der Bedeutungslosigkeitund jetzt kommt der langsame Aufschwung. Auch Zentren wie das Dong Xuan Center tragen entscheidend zur Veränderung des Viertels bei.“ Auf seinen Streifzügen fängt der Fotograf Straßenszenen ein, er inszeniert Stadtlandschaften und porträtiert Bewohner des Viertels. „Die vietnamesische Community in Berlin umfasst über 26 000 Menschen, allein in Lichtenberg leben fast 10 000. Sie fallen aber so gut wie gar nicht auf.

Ich wünsche mir, dass die vietnamesischen Einflüsse offener und sichtbarer werden“, umreißt der Fotograf seine Intention. Hoàng Lê ist in Hanoi geboren und in Ostdeutschland aufgewachsen. Seine Fotos atmen eine leise Form von asiatischer Elegie, einer zarten Poesie, wie sie auch in der asiatischen Malerei zu finden ist. Danach gefragt, ob das an seinem Sozialisationshintergrund liegen könne, antwortet er: „Ich habe es nicht bewusst versucht zu verbinden. Es lässt sich aber auch nicht verhindern. Der Betrachter sollte durch das Projekt dem Lebensgefühl in Lichtenberg näher kommen. Lustigerweise gibt es so etwas wie eine vietnamesische Ästhetik. Ich schmunzele immer, wenn ich zeitgenössische vietnamesische Hochzeitsbilder sehe. Vielleicht steckt davon etwas in mir drin. Zwischen Poesie und Kitsch ist es ja nur ein Katzensprung.“ Die Balance fällt bei Hoàng Lê augenscheinlich zugunsten der Poesie aus. Frei von Kitsch und mit klarem Blick gelingt ihm eine sozialdokumentarische Studie über den Wandel des Viertels und seine Bewohner. „Ich wollte es so natürlich wie möglich halten, damit der Betrachter quasi in die Bilder steigen kann ohne eine visuelle Übersetzung im Kopf vollziehen zu müssen. Ich arbeite gern mit offener Blende, damit sich Personen und Objekte vom Hintergrund lösen und die Konzentration ganz auf ihnen liegt.“ Es scheint, als hätte der Fotograf ein Farbkonzept gehabt. Punktuell tauchen viele Gelb-, Orange- und Rottöne auf, die mit den gedeckten Farben kontrastieren. Zufall oder Absicht? „Berlin kann die meiste Zeit sehr grau und depressiv wirken. Ich wollte auf gar keinen Fall, dass das als primäres Gefühl zurückbleibt. Ich habe beim Fotografieren darauf geachtet, dass warme Töne in den Bildern existieren. Auch in der Bildbearbeitung hab ich eher zum warmen Bild hin korrigiert.“ CARLA SUSANNE ERDMANN

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Tytus Grodzicki

DEGLET NOUR


Eine Reise durch ein Land seiner Jugend – Algerien. Der polnische Fotograf Tytus Grodzicki lebte als Teenager dort und hat sich nun auf die Entdeckung von Algeriens Gegenwart gemacht – nah, alltäglich, persönlich.

Ein Blick auf die Küste von Algier im Stadtteil Bab El Oued (oben); Momente des Alltags, gesehen in Algier (rechts oben), Zeralda (rechts) oder einer Neubausiedlung in M’Sila, einer Provinz im nördlichen Algerien (vorherige Doppelseite)

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Mitten drin dabei, oft aus der Hüftpersepktive: Kinder und Jugendliche spielen an einem Kicker auf einer Straße in M’Sila


Spontan, oft unbemerkt bewegte sich der Fotograf durch die belebten Städte: Kasbah, die Altstadt Algiers (oben), der Rohbau eines Hochhauses in Oran (rechts oben) und in Annaba (rechts)

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Spielerische Perspektive: Diese Gruppe von spielenden Kindern fotografierte Grodzicki in der Altstadt von Algier


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Den Menschen in ihrem Alltag ganz nah: Diese Aufnahme entstand in der in der nรถrdlichen Zentralsahara gelegenen Oasenstadt Gardaia


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Der Blick des Fotografen richtete sich bei seiner Reise vor allem auf das Alltagsleben der Menschen: auf einer Straße in Oran (oben), auf eine Kamel-Figur vor einem Café in Touggourt (links oben) und auf Vogelhändler in Biskra (links)

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Mit seiner Kamera dicht dran, aber zumeist unbemerkt: Diese Gruppe von Frauen fotografierte Grodzicki in Oran


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Aufgrund des starken Bevölkerungswachstums der letzten Jahrzehnte liegt der Anteil der unter 15-Jährigen bei rund einem Viertel der Gesamtbevölkerung Algeriens. Eine spontane Aufnahme in der Altstadt von Algier

T Y T U S G RO DZ I C K I wurde 1972 in Posen, Polen, geboren. Sein Studium hat er 1995 an der Wirtschaftsuniversität von Posen mit einem Master abgeschlossen. Hier führt er sein eigenes Unternehmen im Bereich der Bauberatung. Seine fotografischen Interessen liegen vor allem in der Dokumentar-, Reise- und Street Photography. Das Mitglied der Polnischen Gesellschaft für künstlerische Fotografie lebt und arbeitet in Posen.

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Was verbirgt sich hinter dem Titel Deglet Nour? Das mag die erste Frage beim Blick auf ein schlichtes, zentralperspektivisch aufgenommenes Bild einer Neubausiedlung mit spielenden Kindern sein. Es ist nicht weniger als der Beginn einer Entdeckung eines Landes: Nicht durch die bekannten Bilder, die Algerien in all seinen Problemen zeigen, sondern Tytus Grodzicki nimmt den Betrachter mit auf eine sehr persönliche Reise, die sich von den üblichen Assoziationen deutlich unterscheidet. Wobei viele Rätsel bleiben werden, denn der Fotograf zeigt uns seine Vision von Algerien, die vor allem auch seine eigene Biografie widerspiegelt. Dabei ist es erfreulicherweise keine klassische Reise in die visuelle Vergangenheit, auch wenn er sich auf die Spurensuche der eigenen Geschichte machte, sondern seine Bilder zeigen ein sehr zeitgemäßes Land. Vor fast 40 Jahren lebte Grodzicki als Jugendlicher mit seiner Familie in Algerien, verbrachte dort sehr intensive Jahre: „Ich war von 1983 bis 1984 dort, als Elf- bis Zwölfjähriger Teenager. Es war damals sehr schwierig aus Osteuropa herauszukommen. Meine Eltern arbeiteten in Algerien als Ingenieure in einem Planungsbüro. Ich fand mich im Ausland auf einem anderen Kontinent wieder, das war ziemlich ungewöhnlich“, erinnert sich Grodzicki. Algerien ist nach Fläche der größte afrikanische Staat, doch den größten Anteil nimmt die algerische Sahara ein, fast 80 Prozent des Landes sind nahezu vegetationslos. Die meisten Algerier leben im Norden an der Mittelmeerküste. Die Hauptstadt Algier war auch schon in den 1980erJahren die größte Stadt des Landes, doch die Familie des Fotografen lebte weit entfernt: „Da wir mehr als 300 Kilometer von Algier und zwei anderen großen Städten mit polnischen Schulen, Oran und Konstantin, entfernt lebten, ging ich nicht zur Schule. Ich lernte zu Hause und reiste zweimal im Jahr zur Schule, um Prüfungen in

allen Fächern abzulegen.“ Das Leben gestaltete sich aufregend und ungewöhnlich: „Wir sind viel durch dieses große, faszinierende Land gereist. Meine wichtigsten Erinnerungen sind sehr gut, vor allem was die Kontakte mit den Menschen betrifft, die zu uns sehr freundlich waren.“ Es sollte fast ein Vierteljahrhundert verstreichen, bis Grodzicki das erste Mal in das Land seiner Jugend zurückkehrte, denn „in den 90erJahren herrschte in Algerien Bürgerkrieg und es war unmöglich, dorthin zu reisen.“ Nachdem er 2008 auf einer Offroad-Reise quer durch die algerische Sahara erstmals wieder im Land war, erfolgte ein paar Jahre später die Neuerkundung seiner früheren Lebensorte. Auf zwei Reisen in den Jahren 2014 und 2015 entstand auch diese Bildserie: „Die Routen führten hauptsächlich durch den nördlichen Teil des Landes, erreichte aber auch einige Orte am Nordrand der Sahara, Städte wie Ghardaia, Biskra, El Oued und Touggourt.“ Es wurde eine Reise in die Vergangenheit, doch ohne jegliche Melancholie oder Sentimentalität, denn der Fotograf entdeckte ein verändertes Land, das ihn mehr zu interessieren begann als seine eigene Vergangenheit: „Am meisten hat mich überrascht, dass so viel mehr Menschen in Algerien leben. Städte, in der Erinnerung eher klein, sind jetzt größer. Die Einwohnerzahl der Stadt, in der ich lebte, Djelfa, wuchs von weit weniger als 100 000 auf über eine halbe Million. 30 Jahre sind zwar eine lange Zeit, aber in Europa sind wir an solche Zuwächse nicht gewöhnt.“ Gleichgeblieben war die Gastfreundschaft und die Freundlichkeit, mit der die Algerier dem Fotografen begegneten. Und daher näherte er sich auch mit seiner Kamera, einer Leica M240, dem Alltag der Menschen ganz unbefangen. So entstand eine Serie über das Land: ganz alltägliche Menschen in alltäglichen Städten, die sich mit alltäglichen Dingen beschäftigen. Spielende Kinder auf der Straße und in Neubaugebieten, Frauen und Männer beim Flanieren und Einkaufen, Alltagszenen eben. Meist versuchte

Grodzicki möglichst unsichtbar zu sein, die Präsenz der Kamera zu reduzieren, daher erkennt man bei vielen Motiven, dass sie nicht auf Augen-, sondern auf Hüfthöhe gehalten wurde und spontane Momente umso besser eingefangen werden konnten: „Ich verstecke mich nicht als Fotograf, aber ich möchte nicht in die Szene eingreifen. Das war ein hilfreicher Ansatz, denn viele Menschen, denen ich begegnet bin, wollten vor der Kamera posieren. Doch ich versuche, die Betrachter einzuladen, die Welt so zu sehen, wie ich sie sehe.“ Auch die Entscheidung für Schwarzweiß war wichtig: „Ich interessiere mich hauptsächlich für Formen, Komposition, Gesten und Menschen. Manchmal beeinflusst Farbe diese Aspekte zu stark.“ Nach seiner Rückkehr begann die Sichtung der vielen Motive, um einen Bildband zu entwickeln und Ausstellungen vorzubereiten. Irgendwann war dann auch der Titel gefunden: „Während der Arbeiten an dem Buch, das in Zusammenarbeit mit den Herausgebern Monika Szewczyk und Filip Ćwik und der Buchgestalterin Aneta Kowalczyk entstand, hatte ich lange keinen Titel. Erst als die Vorbereitungen nahezu abgeschlossen waren, kam ich auf die Idee, dass Deglet Nour sehr gut passen würde. Das ist der Name der besten Dattelsorte in Algerien. Er könnte als „Finger des Lichts“ übersetzt werden. Das Licht gibt den Datteln und der Fotografie Leben. Dieser Titel verleiht meiner Schwarzweißserie eine gewisse Sanftheit und Süße.“ Es darf probiert werden. ULRICH RÜTER

TY TUS GRODZIC KIFOTOGRAFIE.COM BU C H : Deglet Nour ist 2018 bei Blow Up Press

erschienen. blowuppress.eu; die Serie soll 2020 in Krakau ausgestellt werden und ist zum Addis Foto Fest nach Äthiopien eingeladen. LF I-ON LIN E .DE /B LOG: SLIDESHOW MIT WEITEREN BILDERN VON TYTUS GRODZICKI EQUIPMENT: Leica M240 mit Summicron-M 1:2/35 Asph

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Felipe Romero Beltrán

NO ME N N E S C I O

Könnte der Río Magdalena sprechen, hätte er viel zu berichten. Wie viele andere hat auch Miriam einen Angehörigen verloren, der später im Fluss wieder auftauchte

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Da im Río Magdalena immer wieder Körper von Verstorbenen geborgen werden, schenken die Gemeinden entlang des Stroms den Unbekannten eine letzte Ruhestätte. Es sind Momente zwischen Trauer, Andacht und Vergangenheitsbewältigung, die der kolumbianische Fotograf Felipe Romero Beltrán dokumentiert.

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Wie kann man jahrzehntelange Konflikte mit Hunderttausenden Todesopfern angemessen verarbeiten? Dieser Frage geht Beltrรกn in sanfter und direkter Bildsprache nach. Der Fotograf begab sich in Gemeinden entlang des Flusses, die dasselbe Schicksal teilen

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Die Friedhöfe für die verlorenen Seelen (Nomen Nescio) sind ein starkes Symbol gegen das Vergessen der Gräueltaten und fordern gleichsam zur Versöhnung mit dem Geschehenen auf

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Diese Seite: Während für die Menschen in den Gemeinden das Leben weitergeht, bleiben junge Männer wie Edgar verschollen. Edgar schloss sich mit 15 den Paramilitärs an, um seine Familie zu verteidigen. Linke Seite: Das Leben und die Arbeit am Fluss hat sich für den Fischer Carlos grundlegend verändert, seitdem der Río Magdalena die Toten freigibt. Besonders schwierig sei es, diese Situation den Kindern beizubringen

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Den grotesk anmutenden Umgang mit den Toten haben die Menschen am Fluss als Teil ihrer Lebensrealität akzeptiert. So wie Leidy, die auf ihrem Pferd regelmäßig weite Strecken zurücklegt, um nach neuen Funden Ausschau zu halten

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Wer auf den Friedhöfen einen Platz findet, wird zu einem Teil der Kommune und erhält damit die Möglichkeit, den letzten Frieden zu finden. Auch Fabiola (oben, rechts im Bild) hat ihren Mann verloren und muss nun, wie viele andere Frauen in der Region, hart arbeiten, um ihre Familie zu unterstützen. Rechte Seite, rechts unten: Strudel wie diese bringen regelmäßig neue Leichen zum Vorschein

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Das Segnen verlorener Seelen ist fest verankert in den katholischen Traditionen. Diese Trauernde wird dafĂźr bezahlt, dass sie fĂźr auftauchende Leichen betet. Sie selbst hat diese Menschen nie kennengelernt

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FELIPE ROMERO B E LT R Á N 1992 in Bogotá geboren, lebt der Fotograf mittlerweile in Madrid und ist als Dokumentarfotograf tätig. Beltrán hat sich auf soziale, politische und zwischenmenschliche Themen spezialisiert, denen er neue Erzählperspektiven geben möchte. Aktuell arbeitet Beltrán an der Universität Madrid an seiner Doktorarbeit, die sich mit Dokumentarfotografie befasst.

FEL I PE RO ME RO B E LT RA N .CO M LF I -O NL I N E .D E / B LOG : SLIDESHOW MIT WEITEREN BILDERN VON FELIPE R. BELTRÁN EQUIPMENT:

Leica Q2, Summilux 1:1.7/28 Asph

Diese Geschichte beginnt mit einer der gewalttätigsten Auseinandersetzungen Kolumbiens. Der bewaffnete Konflikt zwischen Mafia-Mitgliedern, Paramilitärs und Guerillaeinheiten, der seit den 1960er-Jahren im Land tobte, kostete offiziellen Schätzungen zufolge rund 220 000 Menschen das Leben; die meisten waren Zivilisten. Beinahe ein Viertel dieser Todesopfer gilt seit dem Ende des Krieges als verschollen – was vor allen Dingen daran liegt, dass viele im Río Magdalena versenkt wurden. Seit einigen Jahren bringen die am Flussufer lebenden Fischer mehr und mehr Leichen und Leichenteile zum Vorschein. Die Bewohner der Gemeinden am Fluss haben sich auf ihre eigene Art und Weise mit diesem Phänomen arrangiert: Sie taufen die Toten posthum und bestatten sie im Zuge von religiösen Ritualen, um ihnen eine angemessene letzte Ruhe zu gewähren. Sie machen die Verstorbenen zum Teil ihrer Gemeinden. Der Fotograf Felipe Romero Beltrán ist selbst in Kolumbien geboren. Ihn beschäftigt diese Geschichte vom „größten Massengrab des Landes“ seit seiner Kindheit. Nachdem er die Ausmaße der bewaffneten Konflikte im Jahr 2016, als das Friedensabkommen mit der FARC unterzeichnet wurde, erfasst hatte, begann er sich intensiv mit den Gräueltaten auseinanderzusetzen; zunächst mit intensiven Literaturrecherchen, weil ein Betreten dieser Gegenden in jenen Tagen noch zu gefährlich war. Zwei Jahre später schließlich machte er sich selbst auf, um dort zu fotografieren. Nahe Medellin, in der Region Magdalena Medio, suchte er die Gemeinden auf, in deren Nähe viele der Umgekommenen buchstäblich auftauchen – und lernte einiges über den Umgang der Menschen dort mit den Toten: „Viele in der Gegend sind direkt von den bewaffneten Konflikten betroffen und haben selbst Verwandte verloren“, erzählt der Fotograf. „Deshalb wählen einige die Leichen als eine Art Ersatz für die eigenen vermissten Angehörigen.“ Nur die wenigsten Vermissten können eindeutig identifiziert werden. Auch die kolumbianische Justiz ist

von der Vielzahl der Toten, die regelmäßig geborgen werden, überfordert. So manifestiert sich bei den Gemeinden am Fluss in ihrem grotesk anmutenden Umgang mit den Toten eine ganz eigene Form der Vergangenheitsbewältigung, die sie im Laufe der Zeit als Teil ihrer Lebensrealität akzeptiert haben. Da die Gegend am Río Magdalena zudem noch immer ein Hotspot für Mafia- und Guerilla-Machenschaften ist, werden diese Praktiken stillschweigend zum Schutz vor weiteren kriegerischen Auseinandersetzungen ausgeübt. „An einem Ort, wo alles in irgendeiner Hinsicht mit den bewaffneten Konflikten zu tun hat, ist das die einzige Möglichkeit, um sicher zu bleiben“, stellt der Fotograf fest. Wo andere Fotojournalisten dazu neigen, expressiv zu arbeiten, zieht Beltrán würdevolle, ruhige Bilder vor. Er verzichtet bewusst auf explizite Darstellungen der Toten und arbeitet mit dem Motiv des Suchens und Findens, der gleichzeitigen An- und Abwesenheit. Indem er das zu Erzählende direkt in den Mittelpunkt seiner Bilder rückt und dafür ein eher unübliches 5:4-Format verwendet, liefert er seinen Protagonisten den angemessenen Raum und fügt diesem schwierigen Thema eine komplett neue Erzählperspektive hinzu. Damit verwendet er eine ähnlich konzentrierte und kompromisslose Bildsprache, die man auch von seinen Vorbildern Alec Soth und Max Pinckers kennt. Dank dieser Vorgehensweise strahlt jedes einzelne Motiv Hoffnung aus, die man auch bitter benötigt – denn selbst wenn sich der Krieg beruhigt zu haben scheint, werden seine Folgen den Bewohnern am Fluss immer wieder aufs Neue schmerzlich vor Augen geführt. Diese Geschichte zeigt, wie wichtig die Aufarbeitung unbequemer Ereignisse sein kann und setzt gleichzeitig ein Denkmal für all jene Menschen, die ebenso gegen das Vergessen kämpfen wie die Bewohner der Gemeinden am Río Magdalena. DANILO RÖSSGER

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Toni Schneiders S C H AU T H E R !

Konsequente Gestaltung und eine klare Bildsprache prägen sein Werk. Jetzt lädt ein neuer Bildband zur Wiederentdeckung eines der renommiertesten Fotografen im Deutschland der Nachkriegszeit ein.

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Momente des Alltags in perfekter Bildkomposition – mit der Leica gesehen (von rechts im Uhrzeigersinn): Dächer, Kaufbeuren 1951; Aus Mathon, Tirol 1958; Schirm von oben, Dubrovnik 1965; Zwei Paare. Russisches Ehrenmal, Berlin 1959. Vorherige Seiten: Weiß auf Schwarz, Bleder See, Jugoslawien 1965 (links) und Zwei, die auf Draht sind, Lindau 1954 (rechts)

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Abstraktionen der Wirklichkeit (im Uhrzeigersinn von oben): Restaurant am Grunewaldturm, Berlin 1959; Spiel in Festungsmauern, Ehrenbreitstein 1965; Lokschuppen, Mainz 1952; Balken im Wasser, 1957; Schienenspinne, HamburgAltona 1950. Vorherige Seiten: Schiffsmaler, 1954 (links) und Anstreicher, Italien 1967 (rechts)

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Fotos: © Toni Schneiders Estate/Stiftung F.C. Gundlach

Mensch und Umwelt, eingefangen in präzise gestalteten Schwarzweißkompositionen (von links oben im Uhrzeigersinn): Signale, Köln 1951; Schneefangzaun, Zürs am Arlberg 1956; Landweg, Kärnten 1957. Linke Seite: Mann von oben, St. Malo 1966 . Vorherige Seiten: Spannen neuer Kabel, 1951 (links) und Stahlwalzwerk Wuppermann, Leverkusen 1959 (rechts)

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Zum 100. Geburtstag lässt sich das Werk des Leica-Fotografen einmal mehr entdecken. Ein umfangreicher Bildband und eine Ausstellung präsentieren das Lebenswerk Toni Schneiders’ (1920–2006) in bisher nie gezeigtem Umfang. Zwar war der Fotograf enorm produktiv, veröffentlichte rund 200 Bildbände, Reisebücher, Städteführer und war in zahllosen Merian-Heften und Magazinen zu finden, doch die nun getroffene Werkauswahl profiliert ihn erneut und überzeugend präzise als einen der wichtigsten und stilprägendsten deutschen Fotografen der Nachkriegszeit. Nicht zuletzt als Gründungsmitglied der legendären Gruppe fotoform und durch deren programmatische Ausstellungen und Veröffentlichungen hat er entscheidend dazu beigetragen, die Bildsprache der fotografischen Avantgarde nach 1945 zu erneuern und zu erweitern. Zu den Gründungsmitgliedern von fotoform gehörten neben Schneiders Siegfried Lauterwasser, Peter Keetman, Wolfgang Reisewitz, Otto Steinert und Ludwig Windstosser. Unter dem Konzept der „subjektiven fotografie“ sollte das Medium nicht mehr nur dienendes Bildmittel von Journalismus, Werbung oder gar Propaganda sein, sondern als schöpferisch-künstlerischer, individueller Ausdruck des jeweiligen Fotografen verstanden werden. Schneiders fand bereits früh seinen eigenen Weg. Anders als auf die von seinen Kollegen betriebenen Dunkelkammerexperimente mit Solarisation, Negativdruck oder Fotogramm setzte er auf die Möglichkeiten einer direkten, dem Motiv verpflichteten Fotografie. Geprägt von klarer Komposition, kontrastreich und im virtuosen Spiel aus Licht und Schatten entwickelte er seinen Blick, der dokumentarisch und abstrakt zugleich war. Er verstand aber Abstraktion eben nicht als Abkehr von der Wirklichkeit, sondern als deren Interpretation und visuelle Ver-

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dichtung. Und so überrascht es auch nicht, dass er keine Trennung zwischen angewandter Auftragsfotografie und freien Motiven vornahm. Mit Leica verband Schneiders eine lebenslange Kooperation, denn er fotografierte nicht nur den größten Teil seiner Bilder mit Leica-Kameras, sondern er testete auch im Auftrag des Unternehmens neue Objektive und technische Verbesserungen der Kameras. Seine Erfahrungen konnten Interessierte regelmäßig in den Fachmagazinen nachlesen. Bereits 1952 war er in Leica Fotografie (International) als „Meister der Leica“ vertreten – nicht etwa wie üblich von einem Autoren vorgestellt, sondern seine Serie begleitete ganz selbstbewusst ein eigener Text. Dort fasste er in wenigen Sätzen seine Leitlinien zusammen: „Einfach, wahr und klar.“ Kürzer ließe sich seine Haltung zur Fotografie kaum fassen. Der Fotograf betont dort sein Bestreben, nichts dem Zufall zu überlassen, sondern auf gut erkannte, überlegt gestaltete Bilder zu setzen. „Eine gute Fotografie ist zeitlos!“ – auch das ist ein Merksatz von ihm. Grundsätzlich vertraute er mehr auf die Kraft des Einzelbildes, in dem sich Geschichte und Geschichten verdichteten. Er verstand sich nicht als sozialdokumentarischer Reporter, sondern vertraute auf die Schönheit und Vielfalt des Alltags. Dass er dabei die Nachkriegstristesse gekonnt ausblendete, lag nicht nur an seinen Auftraggebern, sondern war auch seiner fotografischen Neugier und empathischen Persönlichkeit geschuldet. Schneiders fand seine Motive überall: am Bodensee, wo er seit 1951 lebte, aber auch auf seinen vielen Reisen in Deutschland und weltweit. So konnte er sich als Reisefotograf und Autor von Städte- und Länderbildbänden etablieren. Nicht das Reisen als solches reize ihn, bekannte er, sondern „die Möglichkeit, frei (und auch in einem gewissen Sinne spielerisch) zu arbeiten.“ Die Ergebnisse dieser Freiheit sind ebenso wie die Variationsbreite seiner Bildkompositionen eindrücklich im neuen Bildband zu entdecken: Schaut her! ULRICH RÜTER

TONI SCHNEIDERS geboren am 13. Mai 1920 in Urbar bei Koblenz. Von 1936 bis 1938 Fotografenlehre im Koblenzer Atelier Menzel. Ab 1940 Soldat der Lichtbildstelle der Luftwaffe, danach Frontberichterstatter. Ab 1948 erstes eigenes Fotostudio in Lindau am Bodensee, Mitbegründer der Gruppe fotoform, zahlreiche Gruppenausstellungen. 1950 bis 1951 Übernahme des Ateliers Werner Mannsfeldt in Hamburg, dokumentarische Reiseund Werbefotografie. Rückkehr nach Lindau, ab 1953 ausgedehnte Reisen in Europa, Afrika und Asien. Zahlreiche Ausstellungen und Ehrungen, darunter Kulturpreis der DGPh 1999 (zusammen mit den fotoformMitgliedern Siegfried Lauterwasser und Wolfgang Reisewitz). Schneiders starb am 4. August 2006 in Lindau.

TON IS C H N E IDE RS.DE FCGU N DLAC H .DE BU C H : Anlässlich seines 100. Geburtstags

widmen die Hamburger Stiftung F.C. Gundlach, die Schneiders’ Nachlass betreut, und das Kunstfoyer München dem Fotografen eine Ausstellung mit umfangreichem Katalog: Schaut her! Toni Schneiders; Hrsg. Sebastian Lux, Steidl, Göttingen 2020


F/ S TOP

– S Y S T E M K A M E R A S – P H O T O G R A P H I C A AU C T I O N – B A R Y T PA P I E R E –

IM ÜBERBLICK – SYST E M KA M E RAS VO N LEICA OHNE MESSSUCH E R : D I E S -, S L- U N D A P S - C-SYS T E M E

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L E I C AS M I T SYS T E M LEICA S, SL UND TL/CL

Gleich vier verschiedene Kamerasysteme stellen Leica-Käufer vor die Qual der Wahl. Während wir dem Messsuchersystem einen eigenen Artikel widmen werden, geht es hier um die moderneren Varianten mit Autofokus und vielen Funktionen.

Vielfach wird Leica ja dafür bewundert, dass der Fotohersteller aus Wetzlar in Hessen es schafft, nicht nur eines oder zwei, sondern je nach Zählweise gleich drei oder vier Kamerasysteme auf dem Markt zu halten. Das bekannteste System ist das M-System, dem wir in einer der kommenden Ausgaben einen eigenen Artikel widmen werden. Dann gibt es das jüngst mit einer neuen Kamera ausgestattete und im Mittelformat angesiedelte S-System, die SL2 mit ihrem Bildsensor im Kleinbildformat und schließlich die Leica CL und TL2 mit ihren Bildsensoren im APS-C-Format. Dafür, dass kein System zu kurz kommt, sorgt nicht zuletzt die Leistungsfähigkeit und Schnelligkeit der optischen Abteilung bei Leica, die für all diese Systeme 76 |

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ausgesprochen leistungsfähige Objektive entwickelt, die kaum noch Wünsche offen lassen. Und alle Systeme haben, wie wir im Folgenden sehen werden, ihre eigene Daseinsberechtigung und ihre eigenen Alleinstellungsmerkmale. Die drei Systeme, um die es hier geht, bieten Autofokus, automatisch steuerbare Blenden und damit eine ganz andere Arbeitsgeschwindigkeit als die eher der Tradition verbundene Leica M. Doch mindestens so viel, was S, SL und CL/TL2 mit-einander verbindet, trent die drei Kamerasysteme auch. DAS S -SYSTEM. Die Leica

S3 ist derzeit das jüngste Kameramodell von Leica und sein Erscheinen unterstreicht Leicas Bekenntnis zum S-System, um das es zuletzt etwas stiller gewor-

den war. Das S-System entstand als moderner Nachfolger des ehemals sehr beliebten R-Systems, das aber ohne Autofokus immer weiter ins Hintertreffen geraten war und sich nicht als Grundlage für ein modernes Kamerasystem eignete. Also entwarf Leica das S-System völlig neu und ohne analoges Erbe, was auch die Möglichkeit einschloss, auf ein neues Sensorformat zu setzen. Mit ihrem 30 mal 45 Millimeter großen Bildsensor gehört die S3 formal in die Welt des Mittelformats, obwohl die Kamera an sich kaum größer ist als viele Kleinbild-DSLRs. Und genau das ist auch die Stärke des S-Systems: Die Kameras bieten das Handling und die Leichtfüßigkeit von Kleinbildkameras, womit die S sehr gut in die Leica-Tradition passt.

Gleichzeitig ist aber die erreichbare Bildqualität spürbar oberhalb des Kleinbilds angesiedelt, was die neue Leica S3 noch einmal unterstreicht. Das Seitenverhältnis des Bildsensors entspricht mit 3:2 dem des Kleinbilds und im Gegensatz zu vielen klassischen Mittelformatkameras kann die S3 auch Jpegs direkt in der Kamera erzeugen und agiert ausgesprochen flott. Gleichzeitig löst ihr Sensor 64 Megapixel auf, was beim Kleinbild unerreichbar ist. Die Sensorgröße gilt als sehr gelungener Kompromiss zwischen der Leichtigkeit des Kleinbilds und den Vorteilen des Mittelformats. Denn mit 30 mal 45 Millimetern Größe und einem Crop-Faktor von 0,8 gegenüber dem Kleinbild bietet der Sensor der S3 spürbar mehr gestalterische →


Die neue Leica S3 belebt Leicas Ausflug ins Mittelformat neu und bietet absolut überragende Leistungen und Bildqualität

Die vor Kurzem vorgestelte Leica SL2 ist die wohl universellste Kleinbildkamera aller Zeiten und extrem schnell und hochwertig

Die Leica TL2 eignet sich für die, die das Fotografieren mit dem Smartphone gelernt haben, aber mehr Möglichkeiten wünschen

Die Leica CL verbindet klassische Fotografie-Tugenden mit einer sehr kompakten Bauform und modernen Leistungen

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Leica S3: Das schon mit der S2 eingeführte Bedienkonzept bleibt praktisch unangetastet

Leica SL2: Mit Touchscreen, Joystick und wenigen Funktionstasten ist sie schnell zu bedienen

Leica TL2: Der sehr große Touchscreen übernimmt die Bedienung und ersetzt auch den Sucher

Leica CL: Beinahe klassisches Kamera-Handling wird mit digitalen Funktionen verknüpft

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Möglichkeiten durch engere Schärfentiefebereiche. Gleichzeitig muss man aber für mehr Schärfentiefe die Blende nicht so extrem weit schließen wie „große“ Mittelformatkameras, die dafür extrem viel Licht benötigen und damit fast immer auf die Unterstützung professioneller Blitzanlagen angewiesen sind. Die Leica S3 bietet einen zeitgemäßen Bildsensor, der dem S-System auch das Arbeiten mit hohen Empfindlichkeiten bis ISO 50 000 ermöglicht, einen enormen Dynamikumfang von bis zu 15 Blendenstufen bietet und auch Filmaufzeichnungen im Cine4K-Modus erlaubt. Doch das eigentliche Rückgrat des S-Systems sind wie so oft bei Leica die Objektive, die im S-System neun Festbrennweiten von 24 bis 180 Millimeter umfasst (19 bis 144 Millimeter umgerechnet auf das Kleinbildformat), darunter ist mit dem TS-Apo-Elmar-S 1:5.6/120 Asph auch ein Tilt-and-ShiftObjektiv. Dazu kommt mit dem Vario-Elmar-S 1:3.5– 5.6/30–90 Asph ein ZoomObjektiv. Fast alle S-Objektive gibt es auf Wunsch auch mit dem im Mittelformat populären Zentralverschluss, der alternativ zum Schlitzverschluss in der Kamera genutzt werden kann. Sein Vorteil ist, dass er mit allen Verschlusszeiten auch beim Blitzen eingesetzt werden kann, was die gestalterischen Möglichkeiten deutlich verbessert. Und da die S3 unter den Mittelformatkameras zu den kleinsten zählt und damit ein sehr geringes Auflagemaß hat, gibt es für fast alle Fremdobjektive von Contax, Hasselblad, Ma-

miya und Pentax Adapterlösungen, die teils sogar mit Autofokus und Blendensteuerung funktionieren. DI E L E I CA SL 2 . Wenn es eine Kamera in Leicas Sortiment gibt, die wirklich als universell gelten kann, ist es die SL2. Sie ist mit dem „LMount“ genannten Bajonett ausgestattet, das auch die Leica CL und TL2 mit ihren kleineren Sensoren aufweisen. Per Adapter lassen sich aber auch Objektive der M-, der S- und R-Systeme direkt ansetzen. Dazu ist der L-Mount ein quasi offenes System, für das auch Panasonic und Sigma Kameras und Objektive herstellen, zudem gibt es von Drittanbietern wie Novoflex Adapter für alle möglichen Kleinbild- und Mittelformat-Objektive, die teils sogar mit Autofokus und Blendensteuerung funktionieren. Kaum eine andere Kamera erlaubt derart vielen Objektiven den Anschluss, wobei von den dediziert für die SL entwickelten L-MountObjektiven noch gar nicht die Rede war. Dem Erscheinen der Leica SL ging die Überlegung voraus, das M-System technisch weiterzuentwickeln und ihm nicht nur LiveView-fähige Sensoren, sondern auch optional einen Autofokus und eine elektronisch steuerbare Blende zu ermöglichen. Doch glücklicherweise entschloss sich Leica, das M-System nicht anzutasten und ihm mit der SL eine moderne Alternative zur Seite zu stellen, die per Adapter auch mit den legendären M-Objektiven genutzt werden kann. Möglich wird das, weil die SL ein nochmals


geringeres Auflagemaß aufweist und als rein digitales Kamerasystem auf die LiveView-Fähigkeiten des Bildsensors vertraut, der auch die Belichtungsmessung und die Messung für den Autofokus übernimmt. Ein sehr schnelles und hochauflösendes Display ersetzt dabei den optischen Sucher. Und während die M schon immer das Ideal einer besonders kompakten Kleinbildkamera erfüllte, steht bei der SL und den zugehörigen Objektiven ganz klar die Leistungsfähigkeit und Bildqualität an erster Stelle. So ist das SL-System neben dem M-System Leicas zweites spiegelloses System im Kleinbild-Bereich und damit ein Vertreter des am stärksten wachsenden Seg-

ments im Foto-Markt. Die Leica SL2 an sich wurde gerade erst auf den aktuellen Stand gebracht – oder fast schon darüber hinaus, denn mit einer Auflösung von 47 Megapixeln, ihrem enorm empfindlichen Sensor, ihren überlegenen Filmfähigkeiten und einer langen Ausstattungsliste ist sie derzeit die leistungsfähigste Kamera im Kleinbild-Format – bei Leica ohnehin, aber vermutlich auch im gesamten Foto-Markt. Dazu trägt auch das Objektiv-Angebot bei, das sich an der Maxime kompromissloser Bildqualität orientiert. Wie die S-Objektive bieten auch die SL-Objektive durch die Bank eine schlicht superb zu nennende Abbildungsleistung. Die

Palette umfasst derzeit fünf Festbrennweiten von 35 bis 90 Millimeter sowie drei Zooms, die einen noch größeren Bereich abdecken.

DER L- M OU N T IST DAS WOHL U N IV ER S EL L ST E BA J ONETT ÜBERHAUPT, MIT GROSSEM OBJ E K T I V-A N G E B O T VON L EIC A U N D A DA P T E R - LÖ S U N G EN F Ü R F R EM DOB J EKT IV E.

L E I CA C L U N D T L2. Auf den ersten Blick mag man kaum glauben, dass die Leica CL und TL2 mit ihren Bildsensoren im APS-CFormat und ihrer kompakten Anmutung das gleiche Bajonett wie die im Vergleich wuchtig wirkende Leica SL2 nutzen. Doch die für das kleinere Format gerechneten TL-Objektive sind im Vergleich deutlich kompakter und leichter als ihre Pendants für die SL2. Nur im kleineren APSC-Format bietet Leica zudem die Wahl zwischen zwei Kameras. Im Daten- →

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blatt muss man die Unterschiede zwischen der Leica CL und der TL2 beinahe mit der Lupe suchen: Beide bieten eine Auflösung von 24 Megapixeln, Filmfähigkeiten bis zu 4K und beinahe identische Abmessungen. Dennoch sind sie grundverschieden: Die CL ist eine traditionelle Kamera mit integriertem Okularsucher, Einstellrädern und HilfsDisplay auf der Oberseite, die TL2 hingegen ein elegantes Designer-Stück für diejenigen, die das Fotografieren mit dem Smartphone und nicht mit einer analogen Kamera gelernt haben. Demzufolge ist die Leica TL2 für gestandene Fotografen nicht unbedingt die erste Wahl. Die Bedienung der Kamera läuft vor allem

über das Touch-Display auf der Rückseite, das gleichzeitig auch der einzige Sucher der Kamera ist, solange man nicht den Visoflex-Sucher aufsteckt, der die Kamera zwar universeller, aber auch größer macht. Beim Fotografieren wird man sich bei der TL2 wohl eher auf die Automatik-Funktionen verlassen und sich auf die Wahl des richtigen Bildausschnitts konzentrieren. Die Eleganz der Kamera wird vor allem durch das UnibodyGehäuse verursacht, das aus einem Alu-Block gefräst und aufwendig geschliffen und bearbeitet wird. Da ist die CL aus ganz anderem Holz geschnitzt: Ihr Design orientiert sich eher an der klassischen M und sie besitzt einen hoch-

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Zooms nicht gerade riesig, umfasst aber dennoch mehr Objektive, als sich die meisten Fotografen überhaupt jemals zulegen. Und die TLObjektive fallen trotz ihrer hervorragenden Qualität angenehm kompakt und leicht aus. Das Elmarit-TL 1:2.8/18 Asph, das umgerechnet einem 28er-Weitwinkel entspricht, ist mit seiner extrem kurzen Baulänge vom 20,5 Millimetern ein echtes „Pancake“-Objektiv, mit dem speziell eine TL2 wie eine Kompaktkamera wirkt, die aber in Wirklichkeit deutlich mehr zu leisten imstande ist. Wer will, kann an die CL oder TL2 natürlich auch die größeren SL-Objektive ansetzen und muss dann entsprechend den Crop-Faktor

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auflösenden Okularsucher, der eine sehr gute Bildvorschau bietet. Im Gegensatz zur TL2 hat sie auch ein Display auf der Oberseite, sodass man das rückwärtige Display eher zur nachträglichen Bildkontrolle nutzen wird. Machart und Bedienung der Kamera regen eher dazu an, die CL zum klassischen Fotografieren zu nutzen und dabei auch mal die Automatik abzuschalten, um das Bild etwas bewusster zu gestalten. Die TL-Objektive sind für den kleineren Bildkreis des APS-C-Formats gerechnet, sodass ihre Brennweiten mit dem Crop-Faktor von 1,5 auf das Kleinbild umgerechnet werden können. Das Angebot ist zwar mit vier Festbrennweiten und drei

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von 1,5 anwenden. Auch alle oben genannten Adapterlösungen für den L-Mount funktionieren an den APSC-Kameras, sodass man im Extremfall ausladende Mittelformat-Objektive an der zierlichen CL nutzen kann. Während diese Möglichkeit zwar vorhanden, aber schon der Kosten wegen wenig sinnvoll ist, prädestiniert sie die CL oder TL2 aber zum idealen Zweitgehäuse für Besitzer einer SL oder SL2. Umgekehrt lassen sich auch die kompakten TL-Objektive an der Leica SL2 nutzen. Sie schaltet dann automatisch auf das kleinere APS-C-Bildfeld um und bietet dank ihres hochauflösenden Sensors praktisch die gleiche Bildauflösung wie eine CL/TL2. Dass alle ge-

nannten Kameras das gleiche Bajonett nutzen, kann sich in der Praxis also als extrem nützlich erweisen. FAZIT. Für Profis, die das

Äußerste an Leistung und Bildqualität fordern, heißt die Wahl S- oder SL-System. Mit keinem der Systeme kann man ernsthaft etwas falsch machen, zumal sich beide die bestmögliche Leistung ins Pflichtenheft geschrieben haben. Allerdings liegt man hier bereits voll in dem Bereich der Leistungskurve, in dem schon kleinste Verbesserungen hohe Investitionen erfordern. Die S3 hat mit ihrer wirklich formidablen Palette an Objektiven die Nase etwas vorn, zudem bietet sie mit dem optionalen Zentralver-

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schluss und Sonderlösungen wie dem Tilt-and-Shift-Objektiv genau die Möglichkeiten, die den kleinen, aber feinen Unterschied machen können. Die SL2 hingegen liegt in der Bildqualität kaum merklich hinter der S3, punktet dafür mit höherer Geschwindigkeit, mehr Mobilität und ihrer Universalität durch die Vielzahl adaptierbarer Objektive. Das hier nicht behandelte M-System spricht mit seiner kompakten Erscheinung trotz Vollformatsensors, seiner weitgehend manuellen Bedienung und seiner Charakteristik ganz andere Interessenten an als die anderen drei Systeme von Leica, die alle wesentlich mehr Automatik-Funktionen mitbringen. HOLGER SPARR

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PREZIOSEN DER OPTIK 3 6. L E I TZ P H OTO G RA P H I C A AU C T I O N

Von Nullserien- und Berg-Elmar-Prototypen über einen sowjetischen Leica-Clone bis zur M2 von Walker Evans – die für Juni 2020 geplante 36. Leitz Photographica Auction breitet ihre Schätze aus.

NULLSE R IEN-PROTOTYP.

Diese Kamera ist sicherlich das Highlight der Auktion. Sie gehört zu den drei Prototypen der berühmten Nullserie, die um 1920 entstanden, also nach der Ur-Leica und vor der Nullserie von 1923/24. Nur zwei Prototy82 |

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pen sind erhalten geblieben. Das bei der Auktion zum Verkauf stehende Exemplar befindet sich nicht im Originalzustand, sondern ist mehrfach modifiziert worden. Offenbar diente sie mehrere Jahre lang als Testkamera. Sie zeigt Anzeichen für viele Veränderungen am Gehäuse und an den Mechanismen im Inneren. Beispielsweise war sie zunächst mit einem frühen Klappsucher ausgestattet, der später durch einen Rohrsucher ersetzt wurde, die Spuren dieser Modifikationen im Inneren der Kamera sind immer noch vorhanden. Das Objektiv kann als eine sehr frühe 5-Elemente-Konstruktion identifiziert werden, höchstwahrscheinlich handelt es sich um ein BK 50/II von 1920/21. Ihre endgültige Form erhielt diese Kamera um 1938 – wahrscheinlich

diente sie danach Ausstellungszwecken (Startpreis: 400 000 Euro, erwarteter Auktionspreis: 800 000 bis eine Million Euro). L E I CA I I I G „ SC H W E DI SCHES MILITÄR“. Auch bei der Leica IIIg (#987938) im originalen, unrestaurierten Zustand mit passendem Elmar 1:2.8/5 cm (#163536) für das schwedische Militär aus dem Jahr 1960 handelt es sich um eine extrem rare Kamera. Schwarze Farbvarianten von Leica-Kameras aus den 1950er-Jahren sind in der Regel Versionen für Pressefotografen. In diesem Fall entschied sich jedoch auch das schwedische Militär für die weniger auffällige schwarze Lackierung: Leitz fertigte 100 Leica IIIf und 125 IIIg mit dieser Lackierung für den Auftraggeber. Die IIIg-Kameras sind auf

der Rückseite der Deckplatte mit den drei Schwedenkronen graviert. Die Elmar 1:2-8/5 cm-Objektive waren in silberfarbenem Chrom ausgeführt und sind auch mit diesem Emblem graviert (Startpreis: 20 000 Euro, erwarteter Auktionspreis: 40 000 bis 50 000 Euro). G O M Z VO O M P. Bei dieser Kamera (#201) handelt es sich um eine seltene, gut gemachte Kopie der Leica II von GOMZ aus der UdSSR, von der nur noch wenige Exemplare existieren. Sie wurde 1933 vom Konstrukteur Muratow entworfen und entstand um 1935. Die Kamera befindet sich in einem ausgezeichnetem Zustand, mit allen typischen Merkmalen wie dem einzigartigen Stil der Knöpfe oder dem speziellen Vulkanit. Beim Objektiv handelt →

Fotos: Leitz Photographica Auction

Am 13. Juni soll die 36. Leitz Photographica Auction im Wiener Hotel Bristol stattfinden. Veranstaltungstermine aller Art sind in der Zeit der Sars-Cov-2-Pandemie natürlich nicht in Stein gemeißelt, aber im Zweifelsfall ist eine Auktion ja immer auch als Online-Event vorstellbar. Die Organisatoren erwarten, dass rund 400 Lose zur Auktion kommen; bis Redaktionsschluss gab es noch keine finalen Zahlen. Wir stellen hier einige der interessantesten Objekte der Auktion vor.


Das Auktions-Highlight: einer von drei gefertigten Protypen der berühmten Nullserie von 1923/24. Entstanden um 1920

Eine Leica IIIg mit Elmar 1:2.8/5 cm, die 1960 gefertigt wurde. Von dieser Kamera wurden 125 Exemplare hergestellt

Sowjetrussischer Leica-Clone von 1935. Die GOMZ-Kamera ist mit einem VOOMP-Objektiv mit Nickelgehäuse ausgestattet

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Diese Leica M2 hat der US-amerikanische Fotograf Walker Evans 1961 erworben und bis 1973 mit ihr gearbeitet

Vorserienmuster der 20 grau lackierten Leica M2, die 1960 für die US-Luftwaffe in Deutschland gefertigt wurden

Das Elcan 1:1/90 entstand um 1970 im Auftrag der US-Marine bei Leitz Kanada. Gefertigt wurde eine Kleinserie von zehn Exemplaren

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Prototyp des Elmar 1:6.3/10,5 cm – als „Berg-Elmar“ eines der bekanntesten Objektive der SchraubleicaÄra. Entstanden um 1930


es sich um ein VOOMP 1:3.5/50 (#561) mit NickelGehäuse und seltenem Original-Objektivdeckel. Die Tessar-Kopie besitzt eine 40-Millimeter-Gewindefassung (Startpreis: 8000 Euro, erwarteter Auktionspreis: 16 000 bis 20 000 Euro. LEICA M2 „WAL K ER EVANS“. Der US-amerika-

nische Fotograf Walker Evans (1903–1975) hat diese 1961 produzierte M2 (#1031865) im Folgejahr erworben und sie bis 1973 verwendet. Die Kamera vermachte er einem seiner Assistenten. Zu diesem Posten gehören ein Schraub-Summicron 1:2/35 (#1671593), ein Lederriemen sowie die Bücher The Last Years of Walker Evans von Jerry L. Thompson und Walker Evans von James R. Mellow – beide enthalten Fotos, die Evans mit einer Leica aufgenommen hat. Bekannt geworden ist Evans mit seinen Arbeiten für die Farm Security Administration, in denen er die Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise auf die Landbevölkerung Mitte der 1930erJahre dokumentierte. Die Porträts der drei Familien Fields, Borroughs und Tingle wurden zu Ikonen der Fotografiegeschichte. Nach 1945 fotografierte Evans u. a. amerikanische Stadtlandschaften und Industriebauten für Zeitschriften wie Harper’s Bazaar, Vogue, Architectural Forum, Life und Fortune. Wegen seines dokumentarischen Stils gilt er als Vorläufer des deutschen Fotografenpaares Bernd und Hilla Becher (Startpreis: 20 000 Euro, erwarteter Auktionspreis: 40 000 bis 50 000 Euro).

LEICA M2 B ETR I E BS-KAMERA . 1960 haben die

Leitz-Werke 20 grau lackierte Leica M2 an die USLuftwaffe in Deutschland geliefert. Von diesen sollen nur noch zehn Kameras existieren, was die graue M2 zu einer der seltensten Serien-Leicas überhaupt macht. Bei der angebotenen Kamera handelt es sich um ein Vorserienmuster der grauen M2. Sie besitzt die gleiche Lackierung und enthält einige einzigartige Merkmale. Die Nummer 2071 gehört zu einer Serie (#2001– 2082) von Betriebskameras der Leica M2, die von 1958 bis 1962 produziert wurden. Diese Kamera ist die einzige bekannte Betriebskamera mit grauer Lackierung. Im Gegensatz zu den Serienkameras fehlen ihr die 135-mm-Rahmenlinien. Die technische Besonderheit der Kamera ist jedoch im Inneren verborgen: Die beiden Verschlussblenden bestehen nicht aus dem üblichen Stoff, sondern aus Metall, das mit schwarzer Farbe beschichtet ist. Bislang sind nur wenige Verschlussprototypen mit dieser Besonderheit bekannt: Die M22071 ist die erste bekannte komplette Leica M-Kamera mit Metallschlitzverschluss (Startpreis: 200 000 Euro, erwarteter Auktionspreis: 400 000 bis 500 000 Euro). ELCA N 1:1 /9 0. Das ext-

rem seltene Elcan 1:1/90 (#1640002) stammt aus der Produktion von Leitz Kanada und wurde vom Optikentwickler Walter Mandler gerechnet, von dem bedeutende Designs wie das erste Summilux-M 1:1.4/35 oder das Noctilux-M 1:1/50 stammen. Das Festfokus-Objek-

HA N DEL S P LATZ F Ü R S C HM U C KST Ü C K E AUS DER M EHR A L S HU N DERTJÄ HR IG EN G E S C HIC HT E DER L EIC A- KA M ERAS : DIE L EITZ P HOTOG RA P HIC A AU CT ION IN WIEN .

tiv befindet sich in ausgezeichnetem Zustand, alle vier Distanzringe für unendlich, 100, 50 und 20 m sind vorhanden. Der 20-MeterRing ist das von Leica hergestellte Original. Die anderen drei Ringe und die Objektivfassung wurden von Ottmar Michaely in Deutschland nach den Originalspezifikationen hergestellt. Das Elcan 1:1/90 entstand im Auftrag der US-Marine, die Auflage lag bei lediglich zehn Stück. Das Auktions-Exemplar ist das zweite, das um 1970 fertiggestellt wurde (Startpreis: 20 000 Euro, erwarteter Auktionspreis: 40 000 bis 50 000 Euro). PROTOT Y P: E LMAR 1 : 6. 3/1 0, 5 C M. Das Elmar 1:6.3/10,5 cm ist als „BergElmar“ eines der bekanntesten Objektive aus der Ära der Schraub-Leicas. Offiziell angeboten wurde es von 1932 bis 1937, verkauft wurden rund 5000 Exemplare. Der auf der Auktion angebotene Prototyp entstand etwa im Jahr 1930, ursprünglich stammt er aus den Beständen des Leica Museums und ist noch mit dem roten Aufkleber mit der Inventarnummer „M 899“ versehen. Der Prototyp ist trotz des ähnlichen äußeren Erscheinungsbildes deutlich kleiner als das Serienmodell: Gegenüber dem Serienmodell mit 93 Millimetern Höhe ist er nur 77 Millimeter hoch. Der sichtbare Teil des Frontelements ist gleich groß, der Frontrand etwas größer (25 statt 24 Millimeter beim Serienmodell). Es sind nur zwei Prototypen in dieser Form bekannt (Startpreis: 50 000 Euro, erwarteter Auktionspreis: 100 000 bis 120 000 Euro). BERND LUXA LFI

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N U R VO M F E I N S T E N F I N E - A R T- P R I N T I N G I N D E R P R A X I S

Der noble Ruf der Barytpapiere stammt noch aus analogen Zeiten. Die Barytpapiere von heute sind Spezialisten für den Tintenstrahldruck. Basierend auf einem Trägermaterial aus Zellulose oder Baumwolle sind sie lignin- und säurefrei und gelten als archivfest. Das garantiert eine Haltbarkeit von immerhin 100 Jahren. Das Bariumsulfat dient dabei als stabiler Weißmacher, damit das Papier nicht zu gelb wird. Als barytähnliche Papiere bezeichnet man Papiere, die über eine dem klassischen Barytpapier nachempfundene Oberfläche verfügen. UNS ER E AUSWAHL . Baryt-

papier ist nicht gleich Barytpapier. Wie bei einem Sportwagen hat jeder Papierhersteller seine Spezialitäten. Das macht die Auswahl 86 |

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spannend. So habe ich in meinem Vergleich Papiere mit unterschiedlicher Papierfarbe und Oberfläche gewählt. Die Papierfarben reichen von leicht warm bis zu hellem Weiß, die Oberflächen von zartem bis starken Glanz und von schwacher bis kräftiger Struktur. Mit einem Basisträger aus Baumwolle und dem Verzicht auf optische Aufheller starten das „Bonjet One“ und das „Crane Museo Silver RAG“ in den Vergleich. Mit einer Grammatur von 343 g/m2 respektive 300 g/m2 liegen die zwei barytähnlichen Papiere sehr gut in der Hand. Die feine Baumwolle macht die Papiere auch zu einem haptischen Highlight. Der Farbton geht leicht ins Warme, die Oberfläche hat einen ausgeprägten Perlglanz mit einer unreregelmäßigen Struktur.

Das „Ilford Galerie Prestige Gold Fibre Gloss“ setzt ebenfalls auf Baumwolle als Träger. Obwohl auch Ilford auf optische Aufheller verzichtet, ist das Papier etwas heller. Der Perlglanz und die Struktur sind etwas geringer als bei Bonjet und Crane. Ganz anders fühlen sich die auf Zellulose basierenden Papiere „Epson Traditional Photo Paper“ (325 g/m2), „Innova Art FibaPrint Ultra Smooth Gloss IFA49“ (295 g/m2) und „Permajet FB Royal Gloss“ (310 g/m2) an. Die Rückseite ist sehr glatt, die Oberfläche hat eine ganz feine Struktur, die von einem leichten Perlglanz überlagert wird. Durch den Einsatz von optischen Aufhellern erreichen sie einen hellen Weißton. Nicht ganz so hell ist das Weiß des „Fotospeed Platinum Baryta“. Das 300 g/m2

schwere Papier hat einen seidenmatten Glanz und ist daher matter als die anderen Papiere. Fotospeed verzichtet auf optische Aufheller, setzt aber Bariumsulfat ein. Es handelt sich also um ein echtes Barytpapier. Das nächste Papier in unserem Test ist das „Hahnemühle FineArt Baryta“ (325 g/m2). Die ausgeprägte Filzstruktur lässt sich deutlich fühlen und ergibt zusammen mit der glänzenden Oberfläche einen dreidimensionalen Eindruck. Mit einem dezent warmen Farbton und seiner seidenglänzenden Oberfläche setzt sich das „Sihl Baryta Satin“ von den anderen Testteilnehmern ab. Mit 295 g/m2 ist es eines der leichteren Papiere auf Basis von Zellulose in dem Vergleich, es fühlt sich aber deutlich schwerer an. →

Fotos: Thomas Bergbold

In unserer neuen Serie geben wir Ihnen einen Überblick über Fine-ArtPapiere und praktische Tipps zum Fine-Art-Printing zu Hause. Der erste Teil ist dem Barytpapier gewidmet, einem Papier für höchste Qualität – nicht nur für Schwarzweißfotografen.


Für die Aufnahme vom Cannon Beach fiel die Wahl auf das „Hahnemühle FineArt Baryta“ mit seiner ausgeprägten Struktur und dem hellen Papierweiß. Die Abstufungen bei Barytpapieren sind subtil, können aber das Ergebnis sehr stark beeinflussen. Liebevoll wie zu analogen Zeiten, verpackt Epson sein „Traditional Photo Paper“ in einer schwarzen Tüte

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DE R DRU C K. Damit man farbrichtig Drucken kann, lädt man sich die zum eigenen Drucker passenden Profile von den Webseiten der Papierhersteller. In der Regel findet man zu allen Druckern mit Pigmenttinte auch die passenden Profile. Das erspart das Erstellen von eigenen Profilen. Darüber hinaus bietet Permajet einen kostenlosen Profilerstellungsservice an. In der Verarbeitung gab es bei allen Papieren im Test keine sonderlichen Überraschungen. Wie bei glänzenden Papieren üblich, haben sie sich nicht gewellt. Kleiner Tipp: Am besten nur einzelne Blätter in den automatischen Einzelblatteinzug einlegen. Bevor man einen Druck final beurteilen kann, sollte er 24 Stunden lang Zeit zum Trocknen gehabt haben. Empfehlenswert für Schwarzweißmotive: das „Sihl Baryta Satin“ (oben) mit dezentem Glanz und feiner Struktur und das „Fotospeed Platinum Baryta“ (unten) mit klarer, seidenmatter Oberfläche

Tintenempfangsschicht mit Beschichtung

Trägermaterial

Barytpapier hat einen einfachen Aufbau. Unterschiede bestehen beim Trägermaterial

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E RG E BNI SSE U ND E M PF E H LU NG E N. Um die Ei-

genschaften der Papiere besser beurteilen zu können, habe ich verschiedene Motive der Genres Landschaft, People, Street und Travel gedruckt. Die Motive waren sowohl farbig als auch schwarzweiß. Ein Druckmuster soll zusätzlich Klarheit über die Fähigkeiten im Schwarzweißdruck geben. Papiere, die einem analogen Barytpapier nachempfunden sind, verbinden Charakter mit langer Haltbarkeit. Die Charaktereigenschaft merkt man den Ergebnissen deutlich an. Hat ein Papier eine ausgeprägte Struktur, verleiht es dem Motiv mehr Tiefe. Daher passen Landschaftsaufnahmen sehr gut zu den Papieren von Bonjet, Crane und Hahnemühle. Für

Porträts sind sie nur eingeschränkt zu empfehlen. Als richtige Universalisten erwiesen sich die Papiere von Ilford und Sihl. Bei Landschaften sorgt ihre leichte Struktur für etwas mehr Tiefe und der leicht warme Farbton schmeichelt. Das merkt man auch bei Schwarzweiß, hier erhalten die Bilder eine angenehme Tonung. Wobei das Ilford eine etwas bessere Tiefendurchzeichnung hat. Hier trumpfen auch das Hahnemühle und Fotospeed auf. Das Fotospeed hat durch seinen Verzicht auf eine Struktur in Verbindung mit dem leicht warmen Farbton einen ganz anderen Charakter. Bilder mit kräftigen Farben wirken daher etwas stumpf. Ganz zart wirken Landschaftsaufnahmen mit gedeckten Farben. Deutlich mehr Struktur und das hellste Weiß bekommt man bei dem Trio Epson, Innova und Permajet. Mit dieser Mischung passen die Papiere zu allen Genres. Sie sind nicht aufdringlich und drücken den Bildern keinen zusätzlichen Charakter auf. Welchem Papier man hier den Vorzug gibt, kann man nach Verfügbarkeit oder Gewicht wählen. Der Unterschied in der Haptik ist hier deutlicher zwischen 295 g/m2 und 325 g/m2 zu spüren, als die reinen Zahlen zeigen. THOMAS BERGBOLD WORKSHOP Wer sich intensiver

mit dem Thema Druck und Papier beschäftigen möchte, kann den Leica Akademie Workshop „Achtung Druck“ von Thomas Bergbold im November 2020 besuchen.


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„G LÜ C K D U R C H FOTO G RA F I E? “ F RAGT E S I C H C H E F R E DA K T E U R H E I N R I C H STÖ C K E L IN DER LEICA FOTOGRAFIE 3/1970.

Wenn man das Leben des heutigen Wohlstandsbürgers betrachtet, so kann einem angst und bange werden: Es ist weitgehend von Sinnlosigkeit, Existenzangst, Frustrierung, d. h. dem Gefühl des Versagens und der Vergeblichkeit bei allem materiellen Wohlstand, gekennzeichnet. Das braucht nicht einmal immer ins Bewußtsein vorgedrungen zu sein, aber es ist latent stets gegenwärtig und bestimmt unser ganzes Verhalten. (…) Was soll diese ganze philosophische Betrachtung in einer Fotozeitschrift? Nun, wir sehen in der Fotografie eines der Mittel, um der um sich greifenden Sinnlosigkeit des Lebens zu entgehen, denn wer schöpferisch tätig ist, hat keine Langeweile und wer keine Langeweile kennt, dem ist die Zeit immer zu knapp, die er mit positivem Tun ausfüllen möchte. Er spürt, wie ihn die Isolierung flieht, wie das Gefühl der Sinnentleerung abnimmt, sobald er sich wieder auf die wirklichen Werte des Lebens besinnt. Viele davon sind völlig kostenlos und jedermann zugänglich, wie z. B. die Freude an der Natur, andere mit geringem materiellen Aufwand erreichbar wie z. B. die Beschäftigung mit der Fotografie. (…) Die Fotografie hat, richtig verstanden und ausgeübt, an all dem geschilderten Positiven teil, übt man sie mit Begeisterung um ihrer selbst willen aus, also als Amateuer und nicht zum Gelderwerb.

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B E S T O F L F I . G A L L E RY

DRUGSTORE „Ich liebe es, entlegene Ecken zu erkunden – besonders, wenn Lichter und Schatten am Abend magische Effekte hervorbringen. Wie in dieser Aufnahme, die in Camaguey, Kuba, entstanden ist. Ich musste das Bild sehr schnell komponieren, bevor mich die Menschen registriert hatten. Nach einem Schuss war das Foto im Kasten.“ Gio Sormani Leica Q, Summilux 1:1.7/28 Asph

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L IG H T BOX


L I G H TPA I N T I N G „Dieses Bild glückte mir während eines Lightpainting-Workshops in den ehemaligen Beelitzer Lungenheilanstalten. Die Kamera stand auf einem Stativ und hat die sich bewegenden Personen und ihre Leuchtmittel mehrere Minuten belichtet. Das führte zu faszinierenden Effekten.“ Thomas Witte Leica SL mit Vario-Elmarit-SL 1:2.8–4/24–90 Asph

DER JUNGE MÖNCH „Während ich durch den Garten des Mahagandayon-Klosterkollegs in Myanmar schlenderte und die friedliche Atmosphäre aufsog, fiel mir dieser junge Mönch auf. Die Szenerie lenkte meine Gedanken auf eine ganz andere Seite dieser strukturierten und geordneten Welt.“ Newman Chow Leica M10 mit Summilux-M 1:1.4/35 Asph

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AU F D E R L E I N E „Ich machte mit meinen Freunden auf der italienischen Insel Burano Urlaub und hatte zunächst etwas Bedenken, weil dort unzählige Touristen waren. Anstatt der Masse zu folgen, gingen wir in eine Seitenstraße und sahen sofort die wahre Seele dieses Städtchens: Etwas verschlafen, etwas chaotisch und voller Licht und Schatten.“ Andrzej Grygiel Leica Q2, Summilux 1:1.7/28 Asph

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GENERALIN MU GUIYING „Dieses Foto ist in Chengdu entstanden. Es zeigt meine Frau, die sich als Mu Guiying verkleidet hat, eine bekannte chinesische Generalin. Als ich sie zunächst nicht wiedererkannt hatte, wurde sie ein wenig wütend und zielte mit dem Speer auf mich. In diesem Moment habe ich abgedrückt.“ Tao Zhou Leica Q, Summilux 1:1.7/28

SUCHENDE „Der ‚Gespensterwald‘ in Nienhagen an der Ostsee liegt am Nordrand des Ortes, sodass das Licht am Nachmittag schräg und je nach Jahreszeit flach einfällt. So ergeben sich immer mystische Bilder mit fantastischen Schatten. Die Personen gehörten zu einer Gruppe, die dort filmte.“ Bodo Philipp Leica SL mit Noctilux-M 1:0.95/50 Asph

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PERFEKTE SY M M E T R I E „Um den Inle-See, Myanmar, mit dem Boot zu überqueren, verließen wir die Stadt Nyaungshwe in aller Frühe. Als sich die ersten Sonnenstrahlen zeigten, stoppten wir bei diesen Fischern. Der Morgennebel, die Sonne und das Licht machten diese Szenerie magisch.“ Carlo Marrazza Leica SL mit ApoVario-Elmarit-SL 1:2.8– 4/90–280

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M AG I S C H E R G R AT „Anlässlich des 50jährigen Bestehens der Gletscherbahn am Dachstein beleuchtete die Bergrettung den gesamten Grat mit Fackeln. Das war sicherlich kein leichtes Unterfangen auf knapp 3000 Metern Höhe! Ich war froh, das Spektakel aus der Ferne beobachten zu können.“ Maximilian Pachernigg Leica M10 mit Summicron-M 1:2/28 Asph

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P H O TO

In ihrem neuen Bildband widmet sich Benita Suchodrev Blackpools fahlem Glamour

– B Ü C H E R – AU S S T E L L U N G E N – F E S T I VA L S – AWA R D S –


HENRIK SPOHLER HYPOTHESIS

B E N I TA S U C H O D R E V

Fotos: © Benita Suchodrev; © Henrik Spohler; © René Groebli; © Martin Schoeller

OF LIONS AND LAMBS

Wieder Blackpool: Bereits vor zwei Jahren präsentierte die in der ehemaligen UdSSR geborene und heute in Berlin lebende Fotografin einen schonungslosen Blick auf die berüchtigte Vergnügungsmeile des traditionsreichen britischen Badeorts. Nun ist Suchodrev noch tiefer in den dortigen Alltag eingestiegen und hat weniger vergnügungssüchtige Gäste in ihren Fokus gerückt, sondern eher die dort dauerhaft Lebenden. Sie zeigt den Mikrokosmos Blackpools im grau-tristen Februar, in dem sich kaum jemand im Freien aufhält. Daher spielt sich in den schwarzweißen Bildern das Leben vor allem in den Pubs und Sälen voller Retro-Charme oder in privateren Räumen ab. Der Betrachter wird durch eine Bilderflut getragen, die an einen tagtraumartigen Film erinnert, bei dem Jim Jarmusch hätte Pate stehen können. Bei ihren Exkursionen reagiert Suchodrev mit ihrer Kamera spontan auf die Lebenswelten der Menschen. Oft sind es Außenseiter, Lebenskünstler, bürgerliche Trinker oder aus der Lebensbahn geflogene Existenzen. Auffällig sind die intensiven Blicke der Porträtierten: skeptisch, resigniert, aber durchaus freundlich und zugewandt. Die Fotografin zeigt kleine Studien des Alltags, aber auch Einblicke in menschliche Abgründe. Die Melancholie halbleerer Flaniermeilen, Pubs und Travestiebars geben den passenden atmosphärischen Rahmen. Ein starker Bildband mit durchaus düsteren Bildwelten, manchmal mysteriös, manchmal spannungsvoll grandios. Wo Schafe sind, da sind auch Löwen. 368 Seiten, 206 Abb., 24 × 31 cm, deutsch/englisch, Kehrer Verlag

Kluge Bilder: das neue Projekt des deutschen Fotografen (*1965) präsentiert die Welt der Wissenschaft. In präzisen Aufnahmen erschließt sich ein Kosmos, eine Art MegaLabor, in kühler Dokumentation. In einer Gegenwart, in der leider nicht selten wissenschaftliche Erkenntnisse ignoriert werden, erscheint das wichtiger denn je. 112 Seiten, 45 Farbabb., 30 × 22,5 cm, deutsch/englisch, Hartmann Books

RENÉ GROEBLI T H E M AG I C EY E

Längst gilt der Schweizer Fotograf (*1927) als legendär. Wie gegenwärtig er ist, beweist der jüngste Bildband. Natürlich sind seine bekanntesten Serien dabei: Das Auge der Liebe oder Magie der Schiene. Doch gibt es noch viel mehr zu entdecken. Experimentelles, Vertrautes und Unbekanntes: eine Hommage in bester Qualität. 200 Seiten, 122 Abb., 23,5 × 33,5 cm, deutsch/englisch, Edition Bildhalle

MARTIN SCHOELLER WORKS, 1999–2019

Dass er zu den bekanntesten Fotografen gehört, kann dieser neue Bildband bestens beweisen. Schoeller, 1968 in München geboren und seit über 25 Jahren in den USA lebend, blickt auf eine rasante Karriere zurück. Ob Angela Merkel oder Lionel Messi: Seine direkten Porträts der Close Up-Serie haben großen Wiedererkennungswert, egal ob er Hollywood-Größen, Politiker oder unbekannte Zeitgenossen in gleicher Form foto-

grafiert. Bestechend einfach auch seine Inszenierungen (ganz oben: George Clooney). Neben Zwillingen (oben) oder Drag-Queens besonders bewegend: die Serie freigesprochener Todeszelleninsassen, deren Porträts von kurzen Statements begleitet werden. 176 Seiten, 78 Farbabbildungen, 24 × 30 cm, englisch, Steidl

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Afrikanische Fotografie ist derzeit so sichtbar wie noch nie. Doch es gilt, die Definition afrikanischer Fotografie zu differenzieren, denn allzu leichtfertig werden die Vielfalt übersehen oder postkoloniale Stereotypen bestätigt. Eine wichtige Korrektur hierzu liefert der Katalog zum Fotofest Biennial in Houston, USA, diesmal kuratiert von Mark Sealy: „Fotografische Bilder können nur innerhalb der Kontexte der Kulturen verstanden werden, auf die

sie sich beziehen. Erst wenn wir die Kulturen verstehen, innerhalb derer ein Bild gemacht und gelesen wird, können wir beginnen, jede wirkliche Bedeutung zu begreifen.“ Mehr als 30 junge und etablierte Künstler stellen ihre Arbeiten vor, die im Katalog zahlreiche Essays begleiten. Die Vorstellung und das Bild Afrikas wurden lange von der westlichen Definition dominiert, erst langsam zeigt sich das selbstbewusste Auftreten verschiedener Künstler, die das gängige Bild vielschichtig korrigieren und dabei ein weites Themenspektrum von Politik,

Identität, Gender und Menschrechten bis hin zu freien Arbeiten vorstellen. Das Fotofest, gegründet von Wendy Watriss und Fred Baldwin hat sich in seiner 37-jährigen Geschichte als eines der renommiertesten Festivals etabliert. Doch die 18. Ausgabe musste in diesem Jahr, bedingt durch die Corona-Pandemie, bereits nach einer Woche abgebrochen werden. Umso wichtiger, dass mit dem klugen Katalog die Fragen und Themen des Festivals ihre Sichtbarkeit behalten. 296 Seiten, 218 Abb., 17 × 24 cm, englisch, Schilt Publishing (mit Fotofest Biennial 2020)

A F R I C A N C O S M O LO G I E S

Von oben im Uhrzeigersinn: Samuel Fosso, Selbstporträt L_002993 (Angela Davis) aus African Spirits, 2008; Rahima Gambo, Rukkaya und Hadiza, Maiduguri, Nigeria, 2016, aus Education is Forbidden, 2015–16; Eric Gyamfi, Atsu nach einer Tanzsession, aus Just Like Us, 2016–19; Aïda Muluneh, Access, Addis Ababa, Äthiopien, aus Water Life, 2018

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Fotos: © Courtesy of Samuel Fosso and Jean Marc Patras, Paris; © Courtesy of Rahima Gambo and Open Society Foundation; © Courtesy of Aïda Muluneh and Water Aid; © Courtesy of Eric Gyamfi and Open Society Foundation

P H O T O G R A P H Y, T I M E , A N D T H E O T H E R


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LEICA GALERIEN WELTWEIT Wir können Ihnen in dieser Ausgabe leider nicht den gewohnten Ausstellungskalender präsentieren, da die Leica Galerien bei Redaktionsschluss ihren Betrieb vorübergehend eingestellt hatten. Wir hoffen, dass die Galerien bald wieder geöffnet sind, um Ihnen die gesamte Bandbreite faszinierender Fotografie näher zu bringen. Wenn Sie sich virtuell in den Galerien umschauen wollen, empfehlen wir Ihnen den Galerienrundgang auf der Leica-Website. Einzelne Leica Galerien laden auch zu Online-Aktivitäten ein, informieren Sie sich dazu auf den Galerie-Websites. leica-camera.com


„G E R DA TA R O S B I L D E R E N T S P R E C H E N K E I N E M G E N D E R -S T E R E OT Y P.“ I N T E RV I E W

Die Schriftstellerin Helena Janeczek beleuchtet in ihrem Roman Das Mädchen mit der Leica das Leben der Kriegsfotografin Gerda Taro. Im Interview spricht Janeczek über Taros Anteil an der „Legende Capa“ und welches Erbe sie hinterließ.

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Aktuell wird die Welt von der Corona-Krise erschüttert. Wo würde das Fotografenpaar Gerda Taro (1910–1937) und Robert Capa (1913– 1954) heute aktiv sein? HELENA JANECZEK: Sicherlich fotografieren, in den Krankenhäusern, Pflegepersonal, Ärzte. Der Blick auch auf die schrecklichen Dinge bliebe distanziert, sodass der Horror nicht pornografisch überstrapaziert würde. Im Lauf der Jahre hat sich glücklicherweise bei der Krisenberichterstattung etwas anderes durchgesetzt, Fotografie wird wieder klassischer und empathischer.

Romanschreiber sich eine so vertrackt abenteuerliche Geschichte wie die des Mexikanischen Koffers hätte ausdenken können. Deshalb brauchte oder durfte ich zum Großteil gar nichts zu erfinden. So ziemlich alles, was in meinem Buch romanhaft scheint, basiert auf verbürgten Quellen. Ich habe mir hauptsächlich Erzählsituationen ausgedacht, die diese Informationen in einen glaubwürdigen, konkreten Kontext situieren und erzählerisch auflösen.

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In einer Mischung aus Biografie und Roman erzählen Sie aus dem Leben von Gerda Taro, der Kriegsfotografin, sozialistischen Aktivistin und Lebensgefährtin des weltberühmten Fotoreporters Robert Capa. Wie ist die Idee zu dem Werk entstanden? JANECZEK: Im Jahr 2009 habe ich in Mailand eine Capa-Ausstellung mit dem Titel This is war besucht und bin dabei auf die erste, ebenfalls vom ICP in New York kuratierte, Retrospektive von Gerda Taro gestoßen. Die Spanien-Bilder der zwei Fotografen hingen zum Teil an derselben Wand. Sie waren ein offensichtliches Zeugnis für die partnerschaftliche Zusammenarbeit, die es mit sich brachte, dass Taros Arbeit jahrzehntelang Capa zugeschrieben wurde. Fasziniert von meiner Entdeckung habe ich mir gleich den Katalog und bald Irme Schabers bahnbrechende Taro-Biografie gekauft. Es ist Schabers Verdienst, dass Gerda Taros Leben und Werk aus der Vergessenheit geborgen wurde. Also habe ich den Kontakt zu ihr gesucht, sobald mir klar war, dass ich versuchen wollte, etwas über Taro zu schreiben. Der kontinuierliche Austausch mit Irme Schaber war sehr hilfreich: auch in Hinblick darauf, dass ich, um ihre enorme Forschungsleistung zu würdigen, einen Weg finden musste, um etwas Eigenes zu machen, LFI:

Fotos: © International Center of Photography/Magnum Photos/Agentur Focus; © Piper Verlag/Berlin-Verlag

Wodurch konnten Sie sich in die Person oder gar Seele der Fotografin einfühlen? JANECZEK: Ich habe mir aus verschiedenen Quellen ein differenziertes Bild gemacht: angefangen bei den Zeugnissen ihrer Freunde und Zeitgenossen – hauptsächlich in Schabers Biografie – bis zum O-Ton, der aus ein paar Briefzitaten spricht. Dass Taro so war, wie sie beschrieben wurde, konnte ich sogar über das einzige bekannte Filmdokument nachvollziehen, einer sowjetischen Wochenschau, die sie sekundenlang bei der Arbeit während eines Kongresses der antifaschistischen Schriftsteller in Valencia zeigt, knapp einem Monat vor ihrem Tod. Sie wirkt unglaublich graziös und flink, während sie sich von ihrem Sitz erhebt, um die Sprecher abzulichten. Aber auch ihre Fotos spiegeln ihre Persönlichkeit wider: ihren Mut, ihren starken Sinn für Ästhetik, ihre Selbstsicherheit, ihre Unsentimentalität, ihre Lebensfreude. LFI:

Oben: das Buch-Cover mit einem Motiv von Robert Capa, Gerda Taro in einem Café, Paris, 1934/35. Links: Gerda Taro, Training der New People’s Army, Spanien, Valencia, März 1937 (aus The Mexican Suitcase)

nicht nur eine wissenschaftliche Biografie belletristisch aufzubereiten. Im Klappentext Ihres Buchs wird der Aufhänger der Geschichte angerissen: 2007 tauchte in Mexiko ein Koffer mit Tausenden von Negativen auf, die bis dato als verschollen galten. Der unter dem Etikett The Mexican Suitcase Schlagzeilen machende Fund, der in den Wirren des Spanischen Bürgerkriegs verschwunden war, enthielt neben – teils bereits publizierten – Originalen, die Capa zugeschrieben worden waren, zahlreiche weitere Bilder von Gerda Taro und David Seymour, einem polnischen Fotojournalisten, der in Spanien eng mit Taro und Capa zusammengearbeitet hatte. Hätten Sie sich diesen Fund gerne ausgedacht? JANECZEK: Ich arbeitete bereits an meinem Roman, als 2011 im ICP in New York der Inhalt des Mexikanischen Koffers der Öffentlichkeit präsentiert wurde. Aber natürlich war dieser grandiose Fund maßgebend für die weltweite Wiederentdeckung Gerda Taros. Das Unglaubliche ist ja, dass kein LFI:

Sie beleuchten das Leben Gerda Taros aus der Perspektive dreier Menschen, die in enger Beziehung zu der Fotografin gelebt haben. Um welche Personen handelt es sich? JANECZEK: Es handelt sich um Ruth, eine enge Freundin Gerdas aus der Jugend, Georg, einen schönen und revolutionären Arzt, Gerdas Lebensgefährte während ihrer Zeit in Leipzig, und den Kardiologen Willy, → LFI:

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1936 fotografierte Robert Capa seine schlafende Partnerin Gerda Taro. Dieses Bild zählte wohl zu den Lieblingsbildern des Fotografen, angeblich besaß er verschiedene Abzüge des Motivs

Im Jahr 1937, im Alter von nur 27 Jahren, stirbt Taro im Spanischen Bürgerkrieg, den sie mit kämpferischer Leidenschaft dokumentierte. Was ist für Sie das größte Vermächtnis von Gerda Taro, bezogen auf die Betrachter der Bilder? JANECZEK: Ich denke, Taros Bilder demonstrieren, dass eine Frau nicht nur den „männlichen“ Beruf eines Kriegsfotografen sehr gut ausüben konnte, sondern auch, wie sehr ihr Blick keinem Gender-Stereotyp entspricht. Wenn Capa und Taro dasselbe Sujet ablichten, fällt auf, dass Capas Fotos emotionaler und weniger streng formal konzipiert sind als Taros. Ich finde es wunderbar befreiend, das Fotos die Eigenheit eines Fotografen widerspiegeln. LFI:

„ D I E VO RAU S S E TZ U N G E N F Ü R D I E , L E G E N D E C A PA‘ W U R D E VO N B E I D E N E R S C H A F F E N . “

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In Ihrem Buch wird deutlich, dass Sie die Fotografin aus dem Schatten von Robert Capa treten lassen und darstellen, wie wichtig Gerda Taro für die Entstehung der „Legende Capa“ war. Welchen Anteil hatte Gerda Taro daran, dass aus dem jungen ungarischen Flüchtling und Fotografen Endre Friedmann, der wie Taro und alle anderen Protagonisten des Buchs als Jude nach Paris geflohen war, Robert Capa wurde? JANECZEK: Robert Capa und Gerda Taro lernten sich 1934 kennen und waren etwa ein Jahr lang gute Freunde, bis es dann endlich zwischen ihnen funkte. Capa brachte Gerda bei, seine Leica zu benutzen, Gerda managte Capas Look und professionelles Auftreten, wie man heute sagen würde. Als sie bereits ein Paar waren und sich trotzdem furchtbar schwertaten, erfanden sie ihre glamourösen Pseudonyme und die Mär von einem reichen, erfolgreichen amerikanischen Fotografen namens Robert Capa. Die Voraussetzungen für die „Legende Capa“ wurde also von beiden gemeinschaftlich erschaffen. LFI:

Und was, denken Sie, wäre Taros Vermächtnis an heutige Fotografinnen und Fotografen? JANECZEK: Genau das, denke ich. Sogar in einer Zeit, in der jeder mal ein gutes Bild mit dem Mobiltelefon hinbekommt, gibt es noch Platz für echte Fotografen, die mutig und konsequent ihre einzigartige Sicht der Welt einfangen und vermitteln können. LFI:

INTERVIEW: Carla Susanne Erdmann

H E LE N A JAN E CZE K Geboren 1964 in Mün-

chen. Nach dem Abitur 1983 zog sie nach Italien, um zu studieren. Seither lebt sie dort. Janeczek schreibt für die Literaturzeitschrift Nuovi Argomenti und kuratiert in Gallerate das Literaturfestival SI Scrittrici Insieme. La ragazza con la Leica erschien 2017 auf italienisch und wurde 2018 unter anderem mit dem Premio Strega, dem wichtigstem Literaturpreis Italiens, ausgezeichnet. BU C H : Das Mädchen mit der Leica; übersetzt

von Verena von Koskull, 352 Seiten, Hardcover mit Schutzumschlag; www.piper.de

Foto: © International Center of Photography/Magnum Photos/Agentur Focus

einen gemeinsamen Freund von Gerda und Robert. Meine Idee war zunächst einen Weg zu finden, um Gerda Taro aus der Reduzierung als Freundin Robert Capas zu befreien und mich damit auch von einer konventionellen romantischen Liebesgeschichte zu verabschieden. Deshalb wählte ich zwei männliche Figuren, deren sentimentale oder auch sexuelle Beziehung zu Gerda ja noch fortbestand, als sie anfing mit Capa anzubandeln. Übrigens denke ich, dass auch Capas Liebe ehrlicher gewürdigt wird, wenn man erzählt, wie stark er mit seiner Eifersucht zu kämpfen hatte, aber nach Gerdas Tod sich seiner Rivalen wirklich herzergreifend selbstlos annahm. Schließlich wurde mir klar, dass ich den von retrospektiver Idealisierung ungetrübteren Blick einer Frau brauchte; eben den Blick Ruths, die sich deshalb auch zeitlich näher an Gerdas Tod, nämlich schon 1938 in Paris, an ihre Freundin erinnert.


Break the rules. Change their view. Tell the bitter truth. Challenge the status. Stand strong. Leica Konstanz

Don’t look back. Stay hungry. Find the spark. Risk. Fail. Repeat. Succeed.

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TO R S T E N A . H O F F M A N N MEIN BILD

Fischer als Schattenriss hinter ihrem Segel: Kaum zu glauben, dass Hoffmann den entscheidenden Moment für diese Aufnahme beinahe verpasst hätte.

72. Jahrgang | Ausgabe 4.2020

LFI PHOTOGR A PHIE GMBH Springeltwiete 4, 20095 Hamburg Telefon: 0 40/2 26 21 12 80 Telefax: 0 40/2 26 21 12 70 ISSN: 0937-3969 www.lfi-online.de, mail@lfi-online.de CHEFREDA KTION Inas Fayed A RT DIRECTION Brigitte Schaller REDA KTION Katrin Iwanczuk (ltd. Redakteurin), Denise Klink, Bernd Luxa, Danilo Rößger, David Rojkowski BILDREDA KTION Carol Körting L AYOUT Thorsten Kirchhoff MITA RBEITER DIESER AUSGA BE Thomas Bergbold, Carla Susanne Erdmann, Katja Hübner, Ulrich Rüter, Holger Sparr, Katrin Ullmann GESCH Ä FTSFÜHRUNG Steffen Keil A NZEIGENLEITUNG & M A RKETING Samira Holtorf Telefon: 0 40/2 26 21 12 72 Telefax: 0 40/2 26 21 12 70 E-Mail: holtorf@lfi-online.de Es gilt die Anzeigenpreisliste Nr. 48 vom 1.1.2020

Gobalpur, Bundesstaat Odisha, Indien 2004

An diesem Strand in Odisha geschah das, was in Indien fast immer passiert: Jemand sprach mich an und stellte die üblichen Fragen, aus welchem Land, ob Familie, welchen Bezug man zu Gobalpur – so hieß dieser Ort – habe etc. Ich hatte mir angewöhnt, solche Fragen etwas unorthodox zu beantworten: Ich käme direkt vom Mond, hätte zehn Kinder, meine Frau sei sehr reich und in Gobalpur sei ich in einem früheren Leben einmal als Pirat gewesen und hätte deshalb hier noch etwas zu erledigen. Als er mich mit immer größeren Augen ansah, hätte ich fast den Katamaran aus den Augen verloren und diese schöne Aufnahme verpasst. Gerade bemerkte ich noch, wie die Fischer das Segel hissten und drückte auf den Auslöser. Jetzt sagte mir der Mann lächelnd: „Ich glaube, Sie sind ein großer Lügner.“ Aber dann führten wir noch ein sehr nettes Gespräch. Torsten Andreas Hoffmann (www.t-a-hoffmann.de), 1956 in Düsseldorf geboren, ist Autor zahlreicher Bücher, Kalender und Zeitschriftenartikel. Seine mehrfach ausgezeichneten Arbeiten werden international ausgestellt.

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