F/I/T - Forschung, Innovation, Technologie 1/2010

Page 1

Schwächen vermeiden. Stärken fördern. Mobilität menschlicher gestalten.

www.toyota-future.com Kann ein Auto zu einer besseren Zukunft beitragen? Wir glauben, dass Technologie nur dann fortschrittlich ist, wenn sie den Menschen eine bessere Zukunft ermöglicht. Darum arbeiten wir täglich daran, Schwächen zu vermeiden, Stärken zu fördern und Mobilität menschlicher zu gestalten. Denn wir glauben, dass man von einem Auto genauso viel erwarten darf wie von sich selbst.

| 01 | Juni | 2010 | Forschung | Innovation | Technologie |

Das Wissenschaftsmagazin der Deutschen Sporthochschule Köln

Sport und Behinderung



INHALT F|I|T Themen | Ausgabe 1 | Juni 2010

01

Behindertensport – ein Überblick | S.6 | Zu den Wurzeln, zum Verständnis und zur Organisation

02

Behindert sein oder behindert werden? | S.16 | Kommunikationswissenschaftliche Analysen zur Bedeutung, Wahrnehmung und Wirkung von Sportlern mit Behinderung im massenmedialen Kontext

03

Lebensqualität bei Querschnittlähmung | S.24 | Der Einfluss von Bewegung und Sport

04

Regel 144.2 | S.30 | Sprintmechanik eines beidseitig unterschenkelamputierten Athleten

05

Dopinganalytik im Behindertensport | S.36 | Entwicklungen bei den Paralympischen Spielen 1984 – 2008 und auf nationaler Ebene 1992 – 2008

06

Kinematik im Handcycling | S.44 | Entwicklung einer sportartspezifischen Methode

IMPRESSUM F|I|T | Forschung, Innovation, Technologie 1/2010, 15. Jahrgang Herausgeber Univ.-Prof. mult. Dr. Walter Tokarski Rektor der Deutschen Sporthochschule Köln Redaktion Deutsche Sporthochschule Köln Presse und Kommunikation

01

02

03

04

05

06

Redaktionsleitung Sabine Maas CvD Lena Overbeck Am Sportpark Müngersdorf 6 | 50933 Köln Telefon: +49 (0)221 4982-3440 Fax: +49 (0)221 4982-8400 pressestelle@dshs-koeln.de DESIGN & ANZEIGENREDAKTION loewentreu visual concepts Projektleitung Nadine Wilms Art Direction Nadine Wilms, Katharina Wittwer Girlitzweg 30, Tor 2 | 50829 Köln Telefon: +49 (0)221 471 58 728 Fax: +49 (0)221 471 58 729 anzeigen@loewentreu.com

Im gespräch | S.14 | mit Wojtek Czyz

ISSN-NR 1434-7776

5


Behindertensport – Ein Überblick Zu den Wurzeln, zum Verständnis und zur Organisation Text Thomas Abel, Volker Anneken Fotos Michael Rauschendorfer, DSHS-Pressestelle, DRS, Norbert Stein, Gloger

„Sport ist für mich Emotion pur, Begeisterung, Gemeinschaft und das Wissen am Leben zu sein. Ohne den Sport wäre ich heute ein ärmerer Mensch.“ Errol Marklein, 6 x Gold Paralympics

D

er Sport von Menschen mit einer Behinderung kann in Deutschland auf eine lange und teilweise bewegte Geschichte zurückblicken. Bereits 1888 wurde in Berlin ein Verein für Menschen mit einer Einschränkung des Gehörs gegründet. Dennoch darf auch in Deutschland mit Recht behauptet werden, dass die eigentliche, ebenso faszinierende wie fruchtbare Bewegung des Behindertensports eng mit den Stoke Mandville Games in Großbritannien verknüpft ist. Zeitgleich mit dem Beginn der Olympischen Spiele, die in der englischen Hauptstadt ausgerichtet wurden, initiierte der deutschstämmige jüdische Neurologe Sir Ludwig Guttmann im beschaulichen nur 70 km von London entfernten Aylesbury 1948 sportliche Wettkämpfe für Menschen mit einer Behinderung. Aus diesen zunächst eher national geprägten Wettbewerben entwickelten sich schnell internationale Wettkämpfe, die als Wurzel des paralympischen Sports gelten. Seit 1960 werden die Paralympics alle vier Jahre in zeitlicher Nähe zu den Olympischen Spielen durchgeführt. Aus dem kleinen Sportfest hat sich eine internationale Sportbewegung entwickelt (Internationales Paralympisches Komitee, IPC), die Veranstaltungen organisiert, bei denen beispielsweise in Peking 2008 über 4.000 Athletinnen und Athleten aus 148 Nationen teilnahmen. Neben den Paralympics gibt es gesonderte Spiele für Menschen mit ­geistiger Behinderung, die Special Olympics, und Spiele für Menschen mit Störungen des Gehörs, die Deaflympics.

6

F|I|T 01|2010

7


“Every person who has suffered severe injury or illness develops certain ­adverse psychological reactions – he loses activity of mind, self-confidence, self-respect and self-dignity. He resigns into his disability and becomes self-centred and anti-social. Nothing can prevent and counteract these adverse psychological reactions more than two measures: regular work and sport.” Guttmann 1973

Hannes Köppen beim Ironman 2007 auf Hawaii – er gewann den Weltmeistertitel in der Handbike-Klasse und benötigte für die 3,9 / 180 / 42 km lange Strecke 11:29:15 Stunden.

Im Fokus des Interesses von Sir Guttmann stand zunächst der Sport von Kriegsversehrten. Als Folge des Zweiten Weltkrieges galt es, einer großen Anzahl von jungen Männern mit einer schweren Behinderung und der damit einhergehenden Lebenskrise eine neue Perspektive zu geben. Aus Sicht von Guttmann eigneten sich hierzu zwei Dinge in herausragender Weise, Sport und eine berufliche Perspektive: “Every person who has suffered severe injury or illness develops certain adverse psychological reactions – he loses acti­ vity of mind, self-confidence, self-respect and self-dignity. He resigns into his disability and becomes self-centred and anti-social. Nothing can prevent and counteract these adverse psychological reactions more than two measures: regular work and sport.” (Guttmann 1973) Die von Guttmann aus dieser Überzeugung abgeleitete funktionelle, sportbezogene Therapie stellte gerade für Menschen mit einer traumatischen Querschnittlähmung einen geradezu revolutionären Wechsel im täglichen Leben und Umgang sowie in der durchgeführten Therapie dar – zweifelsfrei eine unschätzbar wertvolle Revolution zum Wohle der Betroffenen. Der Sport von Menschen mit einer Behinderung verfolgt in Fortführung dieser Tradition die Idee, durch eine körperliche Aktivität positive Auswirkungen im physischen und psychosozialen Bereich der Betroffenen zu bahnen und zu bewirken. Vor diesem Hintergrund haben sich für alle Zielgruppen im Behindertensport Strukturen entwickelt, die es Menschen mit körperlicher oder geistiger Behinderung oder Sinnesbehinderung ermöglichen, regelmäßig sportlich aktiv zu sein.

8

Verändertes Verständnis von Behinderung Grundsätzlich wird eine Behinderung im Sozialgesetzbuch (SGB) Neuntes Buch (IX) folgendermaßen definiert: „Menschen sind behindert, wenn ihre körperliche Funk­ tion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das ­Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Sie sind von Behinderung bedroht, wenn die Beeinträchtigung zu erwarten ist.“ Es wird deutlich, dass sich das Verständnis des Begriffs „Behinderung“ in den letzten Jahren positiv verändert hat. Dabei wurde das medizinische Modell, welches eine Behinderung primär als ein Gesundheitsproblem der betroffenen Person sah und ein verstärkt soziales Modell, welches den Behinderungsbegriff wesentlich als gesellschaftlich verursachte Ausgrenzung von Menschen mit einer Schädigung definierte, durch ein bio-psychosoziales Modell ersetzt. Neben der veränderten oder geschädigten körperlichen Struktur werden dabei weitere Faktoren berücksichtigt, um das Ausmaß einer Behinderung zu fassen. Hierzu zählen neben den personalen Faktoren (z.B. Motivation, Alter, Gewicht) des von Behinderung betroffenen Menschen, Faktoren seiner direkten Umwelt (z.B. sozial­familiäre Situation, Hilfsmittelversorgung, Wohnungsumgebung, Sportangebote vor Ort). Diese Faktoren können die Auswirkungen einer Funktionsveränderung auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft positiv oder negativ beeinflussen. Teilhabe bedeutet in diesem Zusammenhang die Frage,

ob bzw. in welchem Umfang die Person ihr Dasein in allen Lebensbereichen, die der Person wichtig sind, in der Weise und in dem Umfang entfalten kann, wie es Menschen ohne gesundheitsbedingte Beeinträchtigung der Körperfunktionen, der Körperstrukturen oder der Aktivitäten zugestanden wird. Dieser Anspruch, der seit März 2009 auch in Deutschland durch die ratifizierte UN-Behindertenrechtskonvention gesetzlich verankert ist, ermöglicht nun endlich, die stets diskutierte Inklusion und Teilhabe von Menschen mit Behinderung noch intensiver voranzutreiben. Sport kann hier als Vorreiter und Katalysator wirken, da er durch sein soziales Potential u.a. für mehr Akzeptanz gegenüber der Leistungsfähigkeit von Menschen mit Behinderung sorgen kann. Eine der großen Herausforderungen unserer Zeit besteht zweifelsfrei darin, die umfassende Bedeutung von lebenslanger körperlicher Aktivität und Sport für die Bevölkerung freudvoll erfahrbar und nutzbar zu machen. Dies muss für alle Gruppierungen unabhängig von gesellschaftlicher Schicht, Alter, Geschlecht, Ethnie, Bildung, bestehender Behinderung oder Berufstätigkeit gelten. Allerdings bekommt diese Herausforderung eine besondere Bedeutung, wenn eine aktive Teilnahme durch organisatorische Rahmenbedingungen sowie individuelle physische und psychische Gegebenheiten erschwert wird. Ziel aller Aktivitäten muss es hier sein, eine selbstbestimmte aktive Teilhabe von Menschen Realität werden zu lassen. Sport und körperliche Aktivität sind dabei aktives Erleben von Möglichkeiten und Grenzen des Einzelnen und der Erfahrbarkeit der eigenen Wertigkeit. Im Sport und in der Bewegung

F|I|T 01|2010

entsteht die Möglichkeit die eigenen Fähigkeiten zu erkennen, auszudifferenzieren und damit Grenzen zu verschieben oder auch zu überwinden. Gleichzeitig vermittelt gesunder Sport und Leistungssport immer die Möglichkeit, Schranken und Grenzen akzeptieren zu lernen. Dabei gilt es auch die verschiedenen Alters- und Interessensgruppen im Behindertensport zu berücksichtigen. Insbesondere bei sportlich aktiven Kindern und Jugendlichen mit angeborenen Behinderungen, stehen andere Aspekte im Vordergrund als bei einem verunfallten Sportler im Erwachsenenalter. Motivation, Selbstkonzept oder Selbständigkeit sind nur einige Beispiele, die es neben den motorischen und kognitiven Voraussetzungen zu berücksichtigen gilt.

9


Neben den traditionellen Säulen „Rehabilitationssport“, „Breitensport“ und „Leistungssport“ kommt auch dem Schulsport eine große Bedeutung für den Behindertensport zu. Bei der „1. Aktionswoche des Behindertensports“ der Deutschen Sporthochschule Köln hatten Studierende die Gelegenheit, unter Anleitung von Profis (hier Rollstuhl-Tischtennis-Weltmeister Holger Nikelis), verschiedenste Behindertensportarten auszuprobieren.

Organisation des Behindertensports in Deutschland Der Sport für Menschen mit Behinderung bietet für diese Aufgabe vielfältigste Möglichkeiten und besonders in Deutschland haben sich international einmalige organisatorische Strukturen entwickelt, die im Folgenden kurz skizziert werden. Dabei soll neben den traditionellen Säulen „Rehabilitationssport“, „Breitensport“ und „Leistungssport“ auch der „Schulsport“ in seiner Bedeutung für den Behindertensport aufgeführt werden. Rehabilitationssport Rehabilitationssport wirkt laut Rahmenvereinbarung zum ­Rehasport (2003) mit den Mitteln des Sports und sportlich ausgerichteter Spiele ganzheitlich auf die behinderten und von Behinderung bedrohten Menschen, die über die notwendige Mobilität sowie physische und psychische Belastbarkeit für Übungen in der Gruppe verfügen, ein. Ziel ist es, Ausdauer und Kraft zu stärken, Koordination und Flexibilität zu verbessern, das Selbstbewusstsein insbesondere auch von behinderten oder von Behinderung bedrohten Frauen und Mädchen zu stärken und Hilfe zur Selbsthilfe zu bieten. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass es um eine durch den Rehabilitationssport positive Beeinflussung und Förderung der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft geht. Im Rehasport als gruppenspezifische aber therapeutisch ausgerichtete Maßnahme besteht in Deutschland die einmalige Möglichkeit, Sport durch die Sozialversicherungen mitfinanzieren zu können. Dies wird

10

zunehmend – nicht zuletzt vor dem Hintergrund der Überalterung der Gesellschaft – mehr und mehr in Anspruch genommen. Der „Markt“ Rehasport expandiert und bietet die Möglichkeit, mehr Menschen mit Behinderung an den Sport heranzuführen. Im Rehasport sollte neben der funktionellen und psychosozialen Stärkung der Ressourcen ein wesentliches Ziel sein, den Teilnehmern behutsam den Schritt in Richtung regelmäßiger und eigenfinanzierter sportlicher Aktivität aufzuzeigen. Der Rehabilitationssport ist auf Verordnung des behandelnden Arztes für alle Altersgruppen und Indikationen zugänglich und verfügt über ein bundesweites Angebotsnetz, das durch die jeweiligen Landesverbände des Deutschen Behindertensportverbandes und einige professionelle Anbieter organisiert ist. Breitensport Das eingangs aufgeführte Zitat von Errol Marklein weist auch auf die individuell unterschiedlich wahrgenommene Kraft und Wirkung des Sports für Menschen mit Behinderung hin. Der Breitensport bietet vielfältigste und faszinierende Möglichkeiten alleine oder in der Gemeinschaft Sport zu treiben, Grenzen auszutesten oder aktiv für die eigene Gesundheit zu sein. Geprägt ist der Behindertenbreitensport einerseits durch die klassischen Vereinsstrukturen und andererseits durch das Sporttreiben außerhalb dieser organisierten Angebote. Dies unterscheidet sich grundsätzlich nicht vom Sportsystem der Menschen ohne Behinderung. Dennoch stehen Menschen mit

Behinderung vielfach vor Problemen in der Ausübung einer Sportart. Beispielsweise stellen große Entfernung zu einem Vereinsangebot oder vorhandene Barrieren beim Zugang zu Sportstätten oftmals unnötige Hemmnisse dar, am Sport teilhaben zu können. Gerade in der flächendeckenden Angebotsstruktur gilt es in der Zukunft verstärkt auch die Vereine aus dem Nichtbehindertensport zu sensibilisieren und den Behindertensport als „Marke“ zu nutzen. Auch sollten immer wieder Eltern, Lehrer, Trainer und insbesondere Ärzte informiert und geschult werden, dass Sport gerade für Kinder und Jugend­ liche mit Behinderung einen unschätzbaren Wert hat. Die oftmals aufgrund von Unkenntnis und Sorge vor Überforderung des Kindes bestehenden Ängste müssen aufgebrochen werden. Dann besteht auch die Möglichkeit, die Anzahl aktiver Kinder und Jugendlicher mit Behinderung im Sport zu erhöhen. In diesem Zusammenhang kommt dem Schulsport naturgemäß eine wichtige Rolle zu, indem außerschulische Aktivitäten der Schüler angebahnt und gefördert werden können. Schulsport Bewegung, körperliche Aktivität, Spiel und Sport sind für die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen ohne jeden Zweifel von zentraler Bedeutung. Dabei können motorische, kog­ nitive, emotionale und soziale Entwicklungen angeregt und gefördert werden. Klafki spricht davon, das Wesentliche der Bildung sei nicht die Aufnahme und Aneignung von Inhalten, sondern Formung, Entwicklung, Reifung von körperlichen,

F|I|T 01|2010

seelischen und geistigen Kräften (Klafki 1993). Aus dieser Definition lässt sich die Bedeutung von Bewegung innerhalb des Bildungsprozesses klar ableiten und fixiert für die Schule die Aufgabe, allen Kindern und Jugendlichen Möglichkeiten einzuräumen, durch umfangreiche und breit gefächerte Bewegungsangebote entsprechende Lern- und Entwicklungsprozesse zu präsentieren. Diese Forderung wird insbesondere an Gewicht gewinnen, wenn veränderte Chancen zur Bewegung vorliegen und damit die Anforderungen an die Qualität der gesetzten Bewegungsangebote steigen. Schulunterricht für Kinder und Jugendliche mit einer Behinderung, ob an einer Regelschule oder an einer Förderschule durchgeführt, muss deshalb in besonderem Maße der großen Bedeutung von Bewegung, Spiel und Sport gerecht werden und entsprechend qualifizierte und umfangreiche Angebote schaffen. Dies setzt auch entsprechend geschulte Pädagogen voraus. In den „Gemeinsamen Handlungsempfehlungen“, die von der Kultusministerkonferenz und dem Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) mit dem Titel: „Sport für Kinder und Jugendliche mit Behinderung“ im Jahr 2008 herausgegeben wurden, wird dieser qualitativ inhaltliche Anspruch klar formuliert und legitimiert. Gleichzeitig plädieren die Autoren der Handlungsempfehlung für eine engere Verbindung zwischen dem schulischen und außerschulischen Sport, um die Entwicklungsbedingungen der Kinder und Jugendlichen nachhal­tig, systematisch und langfristig zu verbessern. Dies erscheint von großer Bedeutung, da Menschen mit einer Behinderung in deutlich geringerem Um-

11


Dr. Thomas Abel, geboren 1968 in Münster, studierte von 1993 bis 1998 Sportwissenschaft an der Deutschen Sporthochschule Köln sowie Sonderpädagogik an der Universität Köln. Er promovierte 2002 in den Fächern Sportmedizin/Rehabilitation. Thomas Abel arbeitet seit 2003 am Institut ­­ für Bewegungs- und Neurowissenschaft. ­­ Sein Forschungsschwerpunkt liegt im Bereich des Sports von Menschen mit Behinderung. Kontakt: abel@dshs-koeln.de Dr. Volker Anneken, Diplomsportlehrer und Sonderschullehrer, war von 2002 bis 2009 wissenschaftlicher Mitarbeiter und Lehrkraft für besondere Aufgaben im jetzigen Institut für Bewegungstherapie und bewegungs­ orientierte Prävention und Rehabilitation. Er leitet seit Februar 2009 das Forschungsinstitut für Behinderung und Sport (FIBS) an der Deutschen Sporthochschule Köln und der Lebenshilfe NRW. Kontakt: anneken@fi-bs.de

“Denke nicht an das was du warst, sondern an das was Du bist und zu sein Dich sehnst.“ Wojtek Czyz, 4 x Gold Paralympics

fang im Verein sportlich verankert sind und Sport betreiben. In einer Untersuchung von Doll-Trepper (1994) konnte beispielsweise nachgewiesen werden, dass Menschen mit einer Behinderung zehn Mal weniger in Sportvereinen organisiert sind als Menschen ohne Behinderung. In der Realität stellt sich allerdings nach wie vor die Problematik, dass entsprechende fachliche Kompetenzen bei den Lehrerinnen und Lehrern an Förderschulen nur bedingt vorhanden sind. So konnte in verschiedenen Studien über die Qualifizierungswege von Pädagogen an Förderschulen nur in geringem Umfang eine sportfachliche Qualifizierung nachgewiesen werden (Anneken & Schüle 2004). Dieser Eindruck wird noch erheblich verstärkt, wenn die Tendenz, Schüler mit einer Behinderung an Regelschulen zu beschulen, bedacht wird. Die sicherlich zu befürwortende Entwicklung wird im Rahmen des Schulsportunterrichts problematisch, da das Lehrpersonal und deren Lehrplan absolut unzureichend auf diese Schüler vorbereitet bzw. abgestimmt erscheinen. Es ist mit Nachdruck zu fordern, dass pädagogische Hochschulen ihre Absolventen aus den Studiengängen des Lehramts Sport ausreichend auf den integrativen Sportunterricht vorbereiten. Die Umsetzung dieser Forderung im Rahmen der Neustrukturierung der Bachelor- und Master-Studiengänge des Lehramts an der Deutschen Sporthochschule Köln darf hier als ausgesprochen positiv gewertet werden. Darüber hinaus sollten zwischen den Schulen und Sportvereinen, die Sport für Menschen mit einer Behinderung anbieten, engere Verknüpfungen hergestellt werden. Dies kann sicherlich durch Aktivitäten der Vereine im System

12

der Ganztagsschule erfolgen, aber auch durch möglichst enge personelle Verbindungen zwischen Schule und Verein, um ein lebenslanges Sporttreiben der Schülerinnen und Schüler vorzubereiten. Dass mit derartigen Verbindungen auch eine ­Verbesserung der Talentsichtung seitens des Deutschen Behindertensportverbandes einhergehen würde, wäre ein ­weiteres Argument für derartige Vernetzungen. Leistungssport Viele Menschen unterschiedlichster Altersgruppen betreiben Sport nicht nur als freizeit- oder breitensportliche Aktivität, sondern auch als Wettkampfsport mit klarer Leistungsorientierung. Die Lust an derartigen Vergleichen scheint dabei ebenso immanent im Wesen einiger Menschen angelegt zu sein, wie das Unverständnis von anderen gegenüber derartig intensiv betriebenem Training und Wettkampf. Diese kontroverse Sicht des Leistungssports darf für den Bereich der Menschen mit und ohne Behinderung gleichermaßen Gültigkeit beanspruchen. Tendenzen, bestimmten Menschen oder Gruppen der Bevölkerung aus falsch verstandener Fürsorge die eigenständige Entscheidung für oder gegen den Leistungssport abzunehmen, sind zu verurteilen. Der Leistungssport der Menschen mit einer Behinderung kann für die vergangenen Jahre eine enorme Steigerung im Bereich der Wettkampfergebnisse und zum Teil auch im Bereich der öffentlichen Wirksamkeit verzeichnen (Abel, Schneider, Platen & Strüder 2006). Allerdings sind die Förderungssysteme für Athletinnen und Athleten, die derartige Leistungen durch systematische und professionelle

Trainingsarbeit erzielen, nach wie vor überwiegend nicht entsprechend angepasst, aber notwendig. Sinnvolle Tendenzen wie beispielsweise die Etablierung eines Top-Teams in Kooperation mit adäquaten nationalen Sponsoren sind dabei auszubauen und zu intensivieren. Zu den bekanntesten Sportarten zählen die leichtathletischen Disziplinen, die Ballsportarten (hier insbesondere Rollstuhl-Basketball), der Radsport, das Schwimmen sowie verschiedene Wintersportarten. Es gibt aller­dings eine Vielzahl von Sportarten, die es sowohl durch ihre Attraktivität als auch durch den Erfolg deutscher Teilnehmer verdient hätten, stärker in den Blickpunkt der Öffentlichkeit zu kommen. Wie im Bereich des Leistungsports von Menschen ohne Behinderung auch, kann der Leistungssport der Menschen mit Behinderung aus medizinischer Sicht primär in Anspruch nehmen, in seiner Wirkung „gesundheitsneutral“ zu sein. Auch hier liegt die Gefahr einer chronischen Überbelastung insbesondere des orthopädischen Systems dem Leistungsport immanent zu Grunde. Problematischer im Vergleich zum Sport von Menschen ohne Behinderung wird diese Gefahr dann, wenn beispielsweise durch den Verlust eines Beines die Belastungen bei leichtathletischen Sprung- oder Laufdisziplinen potenziert werden. Allerdings sollte auch dem Aspekt Rechnung getragen werden, dass in der aktiven auch leistungssportlichen Lebensgestaltung für die Betroffenen häufig ein weit über den eigentlichen sportlichen Erfolg herausgehender Benefiz verbunden ist. Gleichberechtigung und Teilhabe des Einzelnen bedeuten letztendlich aber immer, eine freie Entscheidung für oder gegen den Leistungssport tref-

F|I|T 01|2010

fen zu dürfen. Grundlage des Leistungssports von Menschen mit Behinderung sind Klassifizierungssysteme innerhalb der verschiedenen Sportarten, die es ermöglichen, trotz unterschiedlicher funktioneller Möglichkeiten, im fairen Wettkampf gegeneinander anzutreten. Dabei wird jeweils die Problematik darin bestehen, den Willen zu einer möglichst feingliedrigen Differenzierung von Wettkampfklassen der in der Realität umsetzbaren Anzahl von Klassen gegenüberzustellen (Anzahl der Medaillensätze bei Paralympics; Anzahl der national oder international Aktiven innerhalb einer Wettkampfklasse). Ausgehend von der Tatsache der Gleichheit und Gleichwertigkeit von Menschen mit und ohne Behinderung darf davon ausgegangen werden, dass es für Menschen mit einer Behinderung keine größere Affinität zur Nutzung von unerlaubten Mitteln zur Leistungssteigerung gibt, als bei allen anderen Sportlern. Andererseits bedeutet dies auch, dass die Dopingwahrscheinlichkeit im Behindertensport sich in keinster Weise vom Sport der Menschen ohne Behinderung unterscheidet. Unerlaubte leistungssteigernde Mittel oder Methoden bedingen in den Sportarten des Behindertensports in gleicher Weise physiologische und psychologische Veränderungen und sind in gleicher Weise als Betrug und Torpedierung der Grundwerte des Sports zu verurteilen. Hier gilt es durch Aufklärung und Information der Sportler insbesondere im Nachwuchsbereich ebenso wie durch eine strikte und engmaschige Kontrolle der Athleten einem Missbrauch entgegenzuwirken. ◊ Literatur bei den Autoren.

13


Im Gespräch mit Wojtek Czyz Text Lena Overbeck Fotos loewentreu

Im Dezember konntest Du bei der WM in Indien Deinen eigenen Weltrekord im Weitsprung noch einmal verbessern – auf 6,72 Meter. Wie weit geht es noch? WC Der Sprung wurde wegen zu viel Rückenwind leider nicht anerkannt. Aber ich hoffe natürlich, dass das noch nicht das Ende der Fahnenstange ist und ich noch weiter Gas geben kann. Was treibt Dich dabei voran? WC Das ist einfach der Spaß am Sport – die Überwindung des inneren Schweinehundes und der Wunsch, immer wieder seine Bestleistung zu verbessern. Sich zu messen, das Beste aus sich heraus zu holen – das macht einfach gute Laune. Wie muss man sich den Hochleistungssport mit einer Prothese vorstellen? WC Ich denke, dass sich Hochleistungssport mit einer Prothese grundsätzlich nicht von anderem Hochleistungssport unterscheidet. Aber natürlich kommt ein entscheidender Faktor hinzu, und das ist das technische Hilfsmittel. Das bedeutet zusätzliches Training und zusätzliche Dinge, auf die ich achten muss – wie die optimale Einstellung der Prothese. Und die ist nicht immer optimal … WC Nein, es kommt leider immer noch viel zu häufig vor, dass die Prothese nicht einwandfrei funktioniert und dann auch mal wegfliegt, wie letztes Jahr in Indien. Das gehört dazu. Das ist in der Formel 1 nicht anders – trotz bester Technik und optimaler Einstellung läuft nicht immer alles rund. Damit muss ich leben.

Trotz Deines Unfalls hast Du 2002 Dein Studium an der Deutschen Sporthochschule Köln aufgenommen. Wie wichtig war das für Dich? WC Den Leistungssport mit einem Studium zu kombinieren ist natürlich nicht ganz leicht, aber die SpoHo ist für mich ein wichtiger Partner geworden. Ich fühle mich hervorragend aufgehoben und man nimmt Rücksicht auf Weltmeisterschaften oder Trainingslager. Das sind enorm wichtige Sachen, die einem Leistungssportler gewährleistet werden müssen, damit er optimale Leistungen erbringt. Wenn das nicht so wäre, wäre ich heute nicht so erfolgreich. Und natürlich gibt es auch eine Zeit nach dem aktiven Sport, an die man denken sollte. Wie ist Deine Meinung zu Sportlern wie Oscar Pistorius, der sich das Recht erstritten hat, mit zwei Beinprothesen an den Olympischen Spielen teilnehmen zu dürfen? (Beitrag 3 berichtet) WC Ich persönlich begrüße das sehr, denn wir sprechen seit Jahren von Integration und Gleichberechtigung. Oscar Pistorius ist jemand, der hart trainiert und ans Limit geht und es meiner Meinung nach verdient hat, an den Olympischen Spielen teilzunehmen – vorausgesetzt, er schafft die Zeit und qualifiziert sich. Ist das für Dich auch erstrebenswert? WC Nein, bei mir fehlen absolut die Voraussetzungen. Durch die Oberschenkelamputation bin ich nicht in der Lage, solche Geschwindigkeiten und solche Kraftverhältnisse vorzubringen. Der Gedanke ist utopisch, irgendwann mal bei den Olympischen spielen zu starten. Ich konzentriere mich lieber auf meine Möglichkeiten und eine neue Bestweite ohne Rückenwind.

Der erfolgreiche deutsche Leichtathlet Wojtek Czyz (29) stand eigentlich vor einer Karriere als Fußballer. Ein gegnerischer Torwart verletzte ihn im Spiel jedoch so schwer am Knie, dass sein linkes Bein amputiert werden musste (September 2001). Nur 6 Monate nach seiner Amputation tauchte er erstmals bei Deutschen Meisterschaften auf und übertraf im Weitsprung gleich die nationale Bestmarke. Heute ist er mehrfacher Deutscher Meister, Europameister, Weltmeister und Paralympics-Sieger. Vor dem Shooting für‘s Titelbild am Adenauer Weiher (Köln) traf die FIT-Redaktion Wojtek Czyz mit Hund Samy zum Interview.

14

Auf Deiner Homepage schreibst Du, dass Du ohne die Hilfe von Sporttherapeut Roberto Simonazzi während Deiner Reha nicht zurück ins Leben gefunden hättest. Inwiefern konnte Dir der zweifache Paralympics-Sieger helfen? WC Ich hatte plötzlich mein Bein verloren und vorher nie Kontakt zur amputierten Szene gehabt. Ich wusste nicht, was ich machen kann und was überhaupt möglich ist. Mit Roberto war da jemand, der mir einfach die Tür geöffnet hat und mir meine Möglichkeiten aufgezeigt hat. Er hat mich hervorragend auf mein neues Leben vorbereitet und mich mit Informationen versorgt. So war mir schnell klar, dass ich zurück zum Leistungssport will.

F|I|T 01|2010

15


W

ie wird Sport von Menschen mit Behinderung in den Massen­medien dargestellt und welche journalistischen Selektionskriterien spielen dabei eine zentrale Rolle? Wie wird die Berichterstattung über Behindertensport in der Bevölkerung wahrgenommen? Welche Wirkungen lassen sich benennen? Dies sind die zentralen Fragestellungen, mit denen sich das Institut für Kommunikations- und Medienforschung (IKM) in den vergangenen Jahren in mehreren Untersuchungen beschäftigte. In dem vorliegenden Beitrag wird ein grober Überblick über die Forschungsaktivitäten sowie -perspektiven gegeben.

Die vorliegenden Befunde aus zahlreichen empirischen Untersuchungen lassen sich folgendermaßen zusammenfassen: Die Sportund Medienmärkte sowie speziell der aus ihnen weiter ausdifferenzierte Markt für Mediensport sind durch einen hohen ökonomischen Wettbewerb gekennzeichnet. Auf der Seite des Sports besteht eine starke Konkurrenz, sowohl innerhalb des etablierten Premiumsports, als auch allgemein, auf Grund der Tatsache, dass zunehmend andere, bisher weniger präsente Sportarten in diesen Markt drängen. Aber auch im Medienmarkt besteht hoher Wettbewerb, da die Verfügbarkeit an Medien und Angeboten zunimmt und sich somit insgesamt eine steigende Nachfrage nach Premiumsport ergibt. Im Zuge dieser von hoher Konkurrenz geprägten Situation haben sich im Mediensport verschiedene Differenzierungsstrategien entwickelt, die die Unterhaltungsfunktion des Sports betonen sollen, um damit die Rezipienten an das jeweilige Sportangebot zu binden. Eine effiziente wie stark verbreitete Differenzierungsstrategie des Mediensports stellt die Anreicherung des TV-Signals und sonstigen journalistischen Ausgangsmaterials mit ästhetischen und emotionalen Zusatzinformationen dar, die einen Mehrwert für den Rezi­ pienten bieten sollen. Diese gängigen Produktionslogiken im Bereich des Mediensports kommen in der medialen Aufbereitung des Behindertensports in nur sehr geringem Maße zur Anwendung. Obwohl der Sport von Menschen mit Behinderung u.a. aus normativen Gründen in hohem Maße auf eine massenmediale Thematisierung angewiesen ist, wird dieser sowohl quantitativ als auch qualitativ defizitär in der Sportkommunikation berücksichtigt. Auf Basis vorliegender Befunde lässt sich durchaus behaupten, dass die zunehmende Fixierung des Mediensports auf seine Kombination aus Unterhaltung und Ästhetik insofern problematisch ist, da diese Auswirkungen auf das Selek­ tionsverhalten von Sportjournalisten haben kann.

Behindert sein oder behindert werden? Kommunikationswissenschaftliche Analysen zur Bedeutung, Wahrnehmung und Wirkung von Sportlern mit Behinderung im massenmedialen Kontext

Text Christoph Bertling, Carsten Möller, Kai Oberhäuser, Christian von Sikorski Fotos loewentreu, Institut für Kommunikations- und Medienforschung, DSHS-Pressestelle

16

F|I|T 01|2010

17


+ Physiologisches

Parameter

Anzahl mit ohne Behinderung

Mittelwert mit ohne Behinderung

Freq/Min

106

88

0,1

Amp_mean (ms)

106

88

Inter-Beat-Intervalls (ms)

106

Puls

Dauer_ggÄ (ms)

F

p

µ2

0,21

77,82

< 0,001

0,29

5,26

15,16

29,28

< 0,001

0,13

88

879,69

808,11

15,47

< 0,001

0,08

106

88

69,57

75,96

17,90

< 0,001

0,09

106

88

2,11

1,89

22,16

< 0,001

0,10

+ Abb.2 Beispiele für statischen und dynamischen Mediacontent.

Tab.1 Parameter der affektiv-emotionalen Stellungnahme gegenüber TV-Clips aus Olympischen vs. Paralympischen Spielen bis 2004.

So nehmen Sportjournalisten den Behindertensport bereits in starkem Maße als diskrepant mit dem Sport der Menschen ohne Behinderung wahr, da jener ihrer Meinung nach erhebliche Defizite bei den immer wichtiger werdenden Aspekten Unterhaltung und Ästhetik aufweist. Selbst die Intention Behindertensport adäquat abzubilden, scheitert in vielen Fällen aufgrund mangelnder Kenntnisse bei Sportkommunikatoren und führt somit zu inadäquaten und stereotypen Darstellungsweisen. Zumindest sahen es 40% der Journalisten bei einer Expertenumfrage als eine gute Berichterstattung an, wenn die Priorität der Berichterstattung auf das Schicksal der Athleten gelegt wird. Dies fördert jedoch nicht den gesellschaftlichen Stellenwert von Spitzensportlern mit Behinderung, sondern konterkariert vielmehr deren Bemühen als leistungsfähige und normal zu behandelnde Mitglieder der Gesellschaft wahrgenommen zu werden. Dass es bereits erhebliche Diskrepanzen zwischen den Auffassungen von Sportjournalisten und Spitzensportlern gibt, darauf verweist eine Studie des IKM, die sich mit der Darstellung von Sportlern mit Behinderung befasste. Der vielleicht wichtigste Befund war, dass die befragten Athleten die Bilder, die die Behinderungen der gezeigten Sportler sehr deutlich und unverblümt in den Vordergrund stellten, sehr viel positiver einschätzten, als die Journalisten die eine gewisse Abneigung gegen­über

18

einer Darstellung zeigten, die die Behinderung stärker akzentuiert bzw. aus nicht konventioneller Perspektive darstellte. Die beschriebenen Befunde sagen allerdings noch nichts darüber aus, wie Sportler mit Behinderung im massenmedialen Kontext auf die Rezipienten wirken. Mit dieser Fragestellung beschäftigten sich Rezeptionsstudien, die in einer zweiten Forschungswelle am Institut für Kommunikations- und Medienforschung (IKM) durchgeführt wurden. Diese Wirkungsstudien sind mit der Entwicklung entsprechender Untersuchungsmethoden verknüpft. Die Gründe für diese Anstrengungen ergeben sich aus der Eigenart der menschlichen Informationsverarbeitungsweise. Der Physiker Herrmann von Helmholtz prägte den Terminus des „unbewussten Schlusses“, um auf den Umstand aufmerksam zu machen, dass die Sinneseindrücke ganz spontan und ohne jede kognitive Anstrengung eine ­derart durchschlagende Wirkung auf den Betrachter aus­ üben, als seien sie verursacht „durch eine uns zwingende, gleichsam äußere Macht, über die unser Wille keine Gewalt hat“. Diese nicht einklagbaren Deutungsgewohnheiten bringen es mit sich, dass unser Verhalten hierdurch weitaus stärker geprägt werden kann als durch die Ebene der sachlichen Information. Selbst in dem Bereich der Recht­ sprechung, in dem nur objektive Faktoren Geltung erhalten sollten, konnte empirisch nachgewiesen werden, dass Attraktivität sich systematisch mil-

+

Abb. 1 Screenshot aus IAT (Implizite Assoziationstest). Oben sind Konzept- und Attributpaar angegeben. Darunter befindet sich die Instruktion, die die Probanden erhalten haben. Bei den Tests erschienen anstelle der Instruktion Adjektive oder Bilder von Athleten mit oder ohne körperliche Behinderung.

EDA= Elektro-Dermale-Aktivität (Hautleitfähigkeit) EKG=Elektro-Kardiogramm Dauer_ggÄ= Dauer gleichgerichteter Änderungen

+

EKG

+

EDA

+

+

+

System

dernd auf das Urteil einer Jury auswirkte. Durch scheinbar nebensächliche Informationen, die auf der Beziehungsebene wirksam werden, kann sich folglich eine Form der Beeinflussung auf der affektiv-emotionalen, kognitiven, stärker reflektierten oder der Ebene des Verhaltens ergeben. Im Sportbereich ist davon auszugehen, dass die unmittelbare oder durch Massenmedien vermittelte Form der Sportberichterstattung auf diesen Ebenen wirksam werden kann. Halten wir also fest, dass Menschen in der Lage sind, Informationen unterschiedlich stark elaboriert zu verarbeiten. Spontane Wirkungen Befragt man nun Zuschauer etwa dazu, wie sie die Paralympischen Spiele bewerten, so muss damit gerechnet werden, dass die Antworten der Befragten durch deren Antizipation der Intention der fragenden Person massiv im Sinne sozial erwünschter Antworten verändert sind. Zudem interessiert die Untersucher natürlich, durch welche Gestaltungselemente des präsentierten Mediencontent stereotypartige Ausdeutungen und Bewertungen ausgelöst werden. Hierzu ist es notwendig, die Rezeption der über die Sinneskanäle aufgenommenen Inhalte möglichst lückenlos zu erfassen. In einer ersten Studie wurden dazu physiologische Parameter erfasst. Über einen entsprechenden D/A-Wandler (Varioport) konnten die körperlichen Veränderungen in einer medialen Rezeptionssituation registriert werden. Als Reize dienten inhaltsgleiche Clips die

F|I|T 01|2010

entweder sämtlich den Olympischen oder den Paralympischen Spielen entnommen wurden. Die Befragung auf verschiedenen Dimensionen ergab eine moderate Präferenz für die Paralympischen Spiele. Ein ganz anderes Bild zeigten Parameter der affektiven Reaktion, von denen eine Auswahl in Tab. 1 dargestellt ist. Die aus der Hautleitfähigkeit (EDA) und Herzaktivität berechneten Parameter (EDA: Frequenz phasischer Reaktionen, mittlere Amplitude phasischer Reaktionen; Herz: Mittelwert des Inter-Beat-Intervalls, Herzfrequenz „Puls“, ­Dauer gleichgerichteter Änderungen im IBI), zeigen, dass die Athleten ohne körperliche Behinderung das unbewusst verlaufende, affektive Erleben der Zuschauer positiver beeinflussten als die Clips aus dem Bereich des Behindertensports. Im Fall der Clips von den Olympischen Spielen, also ohne Athleten mit körperlicher Behinderung, wurden mehr und stärkere phasische Reaktionen der EDA ermittelt, was für ein höheres Aktiviertheitsniveau der Zuschauer spricht. Dies spiegelt sich auch in den Parametern der Herzaktivität. Zusätzlich zeigt sich unter der Bedingung, dass die Clips von den Olympischen Spielen stammen, dass die Veränderungen der Herzaktivität in den IBIs besser balanciert sind, da hier die gemittelte Dauer gleichgerichteter Änderungen der IBIs geringer ist. Andererseits zeigen die Ergebnisse, dass die medial präsentierten paralympischen Athleten bei den Probanden keine physisch messbaren Ab-

19


Abb. 4 Mittlere Fixationsdauer als Heatmap von 10 Probanden für ein Testimonial mit und ohne Behinderung. Abb.3 Rezeptionssituation bei gleichzeitiger Registrierung der Blickbewegung.

wehrreaktionen, wie Abneigung, Angst oder Ekel, evozierten, die in der einschlägigen Literatur häufig diskutiert werden. Weiterhin ist zu vermuten, dass ein geringer ausgeprägtes Konsumkapital der Probanden gegenüber dem Medieninhalt „Behindertensport“ das Spannungsempfinden und damit die physisch messbare Aktivierung moderierte. Implizite Assoziationen Die durchgeführten Untersuchungen werfen die Frage auf, ob bei Betrachtern spezifische Schemata aktiviert werden, die für eine soziale Bewertung von Athleten mit Behinderung verantwortlich sind. Wird das Stereotyp „Behinderter“ durch einen visu­ellen Stimulus aktiviert, ist zu erwarten, dass die mit der Kategorie „Behinderter“ verknüpften, meist negativen Eigenschaften zu einer negativen Beurteilung des Menschen mit Behinderung führen. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass den abgebildeten nicht behinderten Sportlern Eigenschaften zugeschrieben werden, die mit dem Schema „Sportler“ verknüpft sind. Ziel der folgenden Studie war es zu prüfen, ob die Beurteilung der verwendeten Stimulusbilder von Sportlern mit Behinderung (nachfolgend „SmB“) und solchen ohne Behinderung („SoB“) durch Prozesse der sozialen Kognition, speziell der impliziten Assozia­tionen, gesteuert wird. Der von Greenwald, McGhee & Schatz (1998) konzipierte Implizite Assoziationstest (IAT) bietet einen methodischen Zugang zu solchen Prozessen der sozialen Kognition. Dieser

20

misst die Schnelligkeit und Genauigkeit mit der Bilder und visuell dargebotene Worte Kategorien zugeordnet werden. Probanden wurden aufgefordert, die ihnen auf dem Bildschirm präsentierten Bilder dem Konzeptpaar „Sportler mit Behinderung“ bzw. „Sportler ohne Behinderung“ zuzuordnen. Die gezeigten Adjektive wie „sympathisch“, „langweilig“ etc. sollten dabei dem Attributpaar „gut“ bzw. „schlecht“ zugeordnet werden. In einer groß angelegten Studie waren zuvor Bilder des Behindertensports sowie Adjektive zu ihrer Beschreibung erhoben worden, die für den hier beschriebenen IAT genutzt wurden. Auf dem Bildschirm erschien also entweder ein Bild oder ein Adjektiv. Die Probanden hatten die Aufgabe so schnell wie möglich per Tastendruck anzugeben, ob die linke Ausprägung einer Dimension zutrifft oder die rechte. Zunächst wurde die Beurteilung der Bilder mit dem Konzeptpaar („SmB“ - „SoB“) und der Adjektive mit dem Attributpaar („gut“ – „schlecht“) eingeübt. Dann wurden Konzept- und Attributpaar kombiniert dargeboten (vgl. Abb. 1). Dies entweder so, dass auf der linken Seite die Ausprägungen „SoB“ + „gut“ und rechts entsprechend „SmB“ + „schlecht“ standen (stereotypkonform). Zusätzlich wurde in einer weiteren Bedingung das Konzeptpaar umgedreht, so dass „SmB“ + „gut“ sowie „SoB“ + „schlecht“ zusammen als Ausprägungen angeboten wurden (stereotypnonkonform).

Aufgezeichnet wurde die Zeit vom Erscheinen der Reizvorlage bis zum Tastendruck. Der so konzipier­ te IAT ergab systematisch geringere Latenzzeiten bei stereotypkonformen Kategorisierungen („SmB“ + „schlecht“) als bei nonkonformen („SmB“ + „gut“). Methodisch bedeutsam ist, dass entgegen der Annahme einiger Autoren kein Reihenfolge­ effekt gefunden wurde. Dieser stereotype Umgang mit Bildern von Menschen, die eine körperliche Behinderung aufweisen, wurde in einem weiteren Projekt, das durch die hochschulinterne Forschungsförderung an der Deutschen Sport­ hochschule Köln finanziell ermöglicht wurde, untersucht. Hier stand die Frage nach der Werbewirkung von paralympischen Testimonials im Fokus. Wie oben bereits erwähnt werden paralympische Athleten medial in vielen Fällen unvorteilhaft abgebildet. Aus diesem Grund wurde untersucht, wie sich unterschiedliche Behinderungsformen auf die Beurteilung von Personen auswirken. Hierzu wurden entsprechende Retuschen an Fotos vorgenommen. Die Ergebnisse offenbarten, dass Behinderungen im Gesicht zu sys­tematisch schlechteren Eindrucksurteilen führten als solche an Extremitäten. Zudem zeigte sich auch hier wiederum, dass diese Beurteilungsprozesse nicht grundlegend von Rationalisierungen beeinflusst wurden. Die Probanden hatten nämlich die Aufgabe für jedes Bild so schnell wie möglich zu entscheiden, ob sie die dort dargestellte Person eher sympathisch oder eher unsympathisch finden. Die Personen wurden

F|I|T 01|2010

unterschiedlich lange auf dem Bildschirm präsentiert (50, 250 und 5.000 Millisekunden). Da es zwischen diesen drei Bedingungen keinen Unterschied gab, muss davon ausgegangen werden, dass hinsichtlich der empfundenen Sympathie der erste Eindruck für alle weiteren Urteile maßgeblich war. Die beiden Untersuchungen legen nahe, dass bei den Betrachtern stereotype Assoziationen gegenüber Menschen mit Behinderung vorhanden waren (IAT) und dass diese Stereotype auch bei einer ausgeweiteten Betrachtungszeit stabil bleiben. Das Auge des Betrachters Inwiefern der Volksmund mit der Behauptung, dass der erste Eindruck entscheidend ist, recht behält, ist für die Vermarktungschancen von Athleten mit körperlicher Behinderung von besonderer Bedeutung. Die empfundene Unterhaltung bei der Rezeption von Sportcontent kann wiederum Folgewirkungen auf den Aufbau von Konsumkapital haben und somit auf die potenzielle Medienpräsenz einer Sportart oder eines Sportlers. Am IKM wurden dazu Untersuchungen zu den ökonomischen Potenzia­ len von Menschen mit Behinderung im Rahmen werblicher Kommunikation unternommen. Um die Intensität und die zeitliche Strukturierung bei der Rezeption von visuellen Medieninhalten und Werbung zu erfassen, steht am IKM ein kontaktfreier Eye Tracker (Tobii X120) zur Verfügung. Für die in Abb. 2 dargestellten Beispiele für statische (Printwerbung) und dynamische Inhalte (TV, Internet)

21


Die am IKM stattgefundene Entwicklung des Methodenarsenals ermöglicht es künftig weiteren Fragen nachzugehen. Etwa soll untersucht werden, ob Menschen, die familiären oder beruflichen Kontakt zu Menschen mit Behinderung haben sowie Personen mit Behinderung selbst, andere implizite Assoziationen sowie explizite Einstellungen gegenüber Menschen mit Behinderung aufweisen. Die Forschungsperspektive für die Frage nach den Darstellungs- und Wirkungsweisen von Behindertensport soll dabei auf unterschiedliche Kulturen ausgedehnt werden. Schließlich sollen die methodischen Entwicklungen auch dazu dienen, um die Maßnahmen bei der Gestaltung des Sendesignals bei der Sportberichterstattung systematisch zu untersuchen. ◊

Registrierung der Blickbewegung

Dr. Christoph Bertling Jahrgang 1974, machte 2001 seinen Abschluss zum Diplom-Sportwissenschaftler. In der Zeit nach dem Studium war er als Journalist tätig (u.a. ­Süddeutsche Zeitung, Frankfurter Allgemeine Zeitung, Financial Times Deutschland, Spiegel Online). Seit 2001 ist er am Institut für Kommu­ nikations- und Medienforschung (IKM) tätig. Kontakt: bertling@dshs-koeln.de

Dr. Carsten Möller Jahrgang 1968, studierte an der Universität Duisburg-Essen, Biologie, Sozialwissenschaften und Psychologie und beendete 2004 sein Promotionsstudium im Fach Sozialpsychologie mit dem Schwerpunkt Kommunikation und Medien. Seit 2008 ist er als Mitarbeiter am Institut für ­Kommunikations- und Medienforschung tätig. Kontakt c.moeller@dshs-koeln.de

Literatur bei den Autoren.

weitere Autoren:

Kai Oberhäuser, Christian von Sikorski Institut für Kommunikations- und Medienforschung der Deutschen Sporthochschule Köln

 Mittelwert nicht behindert (n=21)  Mittelwert behindert (n=20)

Anzeige_F.I.T.210x148,5mm-K1:Layout 1

6

17.05.2010

9:50 Uhr

Seite 1

5 4 3 2 1 0 Gesicht

Slogan

Not on AOI

Produkt­info

Arm

Logo

Testimonial Legende

Arm cut

Abb.5 Mittlere Dauer (Sekunden) bis zur ersten Fixation in „Areas of Interest“.

lassen sich hiermit die Blickbewegung, Mausklicks, besuchte URLs, Antworten auf Fragebogenitems und Thinking Aloud Szenarien erfassen, wobei den Probanden eine weitgehend natürliche Rezeptionssituation ermöglicht wird (vgl. Abb. 3). So zeigen Untersuchungen zur werblichen Kommunikation mit Personen, die eine Behinderung aufweisen, dass sich eine deutlich sichtbare Behinderung nur marginal auf das Blickverhalten und entsprechende Recall- sowie Recognitionwerte auswirkt (vgl. Abb. 4). Viel entscheidender für das Blickverhalten gegenüber Testimonials mit körperlicher Behinderung sind offenkundig tief in der menschlichen Wahrnehmung verwurzelte Wahrnehmungsmechanismen. So zeigt sich immer wieder, dass dem Gesicht 22

Schmerzen beim

eine besondere Bedeutung zukommt, was bei entsprechenden Behinderungen wie oben dargestellt zu eindeutig negativen Zuschreibungen führen kann. Gleichzeitig führt uns dies „vor Augen“, dass dem Gesicht und dort den Augen eine große Bedeutung in der visuellen Kommunikation zukommt. Abb.5 zeigt diesen Umstand im Kontext werblicher Kommunikation auf und verdeutlicht auch die besondere Bedeutung, die einem Slogan zukommt. Die Befunde der durchgeführten EyeTracking-Untersuchungen am IKM deuten darauf hin, dass die starke Ausgrenzung von Menschen mit Behinderung im Bereich der Werbung sowohl aus normativen als auch aus ökonomischen Gründen als nicht sinnvoll zu bezeichnen ist und dass das werbliche Potenzial paralympischer Athleten nicht optimal genutzt wird.

Laufen?

„Sensomotorische Einlagen“ von footpower ® korrigieren – wissenschaftlich nachgewiesen – aktiv Fuß-Fehlstellungen und verhindern dadurch Schmerzen beim Laufen. Durch das auf Ihren Fuß individuell angepasste Oberflächendesign der Einlage wird die Koordination der Fuß- und Unterschenkelmuskulatur trainiert und sorgt für einen hervorragenden Tragekomfort. Laufen Sie schmerzfrei!

footpower ® wird Ihnen präsentiert von: footpower Dortmund GmbH Rheinlanddamm 8 – 10 44139 Dortmund Tel. (02 31) 420 500 www.dortmund.footpower.de footpower Mainz Hintere Bleiche 19 55116 Mainz Tel. (0 61 31) 22 70 30 www.mainz.footpower.de footpower Gießen Schiffenberger Weg 115 35394 Gießen Tel. (06 41) 741 55 www.giessen.footpower.de Komplette Händlerliste unter www.footpower.de Wir beraten Sie gerne! 23

F|I|T 01|2010

w w w . f o o t p o w e r . d e


A

ls Evaluationskriterium in der Medizin und als Outcome-Parameter in der Rehabilitation gewinnen Lebensqualitätsmessungen zunehmend an Bedeutung (Bullinger 2002; Gimmler et Al. 2002; Kind 2001). Infolge einer Querschnittlähmung wird die Lebensqualität in erster Linie durch körperliche Beeinträchtigungen negativ beeinflusst. Abgesehen von der gestörten bis fehlenden Gehfähigkeit, schränken vor allem Spontan­urinverluste und Inkontinenzprobleme die Lebens­qualität der Betroffenen sowohl aus gesundheitlicher und insbesondere aus sozialer Sicht ein (Nánássy 2002). Auch chronische Schmerzen können laut Werning (2002) als Komplikation einer Querschnittlähmung erheblichere Auswirkungen auf die Lebensqualität haben als die Lähmung selbst. Verschiedene Studien belegen eine weitgehende Unabhängigkeit der Lebenszufriedenheit von der Lähmungshöhe, dem Grad der Verletzung und Beeinträchtigung (de vivo et Al.. 1992; Fuhrer et Al. 1992; Eisenberg et Al. 1991; Gerhardt 1991). Neben physischen Funktionseinschränkungen haben auch Faktoren wie das Alter, die berufliche Perspektive sowie psychische und soziale Aspekte Einflüsse auf die gesundheitsbezogene Lebensqualität der Betroffenen. Für Hess et Al. (2004) wirkt sich neben finanziellen Vorteilen eine Erwerbstätigkeit auch auf die Psyche aus und beeinflusst das subjektive Wohlbefinden von Menschen mit erworbener Querschnittlähmung.

Lebensqualität bei Querschnittlähmung Der Einfluss von Bewegung und Sport Text Tanja Scheuer, Volker Anneken Fotos loewentreu, DSHS-Pressestelle

Der Eintritt einer Querschnittlähmung geht für die Betroffenen einher mit weit­reichenden ­physischen, psychischen und sozialen Veränderungen. Diese spiegeln sich in allen Lebens­ bereichen wider und erschweren den Alltag. Die Wiederer­langung größtmöglicher Mobilität und Selbständigkeit steht daher im Vordergrund der Rehabilitation einer erworbenen Querschnittlähmung und stellt ein wichtiges Kriterium der Lebensqualität dar.

24

F|I|T 01|2010

Bewegung und Sport stellen wichtige therapeutische Inhalte einer erfolgreichen Mobilitätsförderung dar und tragen in hohem Maße zu einer Rehabilitation bei, die auf selbstbestimmtes Handeln ausgerichtet ist (Kues at Al. 2008, Zäch 2008; Cagol 2002; ­Schülle et Al. 2002). Jedoch liegen wenige Erkenntnisse vor, ob Bewegung und Sport positive Auswirkungen auf die verschiedenen Ebenen der gesundheitsbezogenen Lebensqualität von Menschen mit Querschnittlähmung haben. Im Rahmen des von der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) finanzierten Projektes „Teilhabe durch Mobilität“ wird daher untersucht, ob und in welchem Ausmaß sportliche ­Aktivität positive Einflüsse auf die Lebensqualität von Menschen mit einer Querschnittlähmung hat. Methodisches Vorgehen Die Datenerhebung erfolgte anhand eines zusammengestellten Fragebogens. Da kein geeignetes standardisiertes Instrument zur Erhebung der sportlichen Aktivität und Rollstuhlmobilität für Menschen mit einer Querschnittlähmung im Rollstuhl zur Verfügung stand, wurden diese Fragen im Rahmen der Untersuchung neu entwickelt. Die Messung der Lebensqualität erfolgt in dieser Studie mit dem Fragebogen „Lebensqualitätsfeedback“ von Hanssen-Doose & Schüle (2006), der in der Kurzversion 42 Fragen umfasst, die vier Bereichen zuzuordnen sind: 1. Körperlich, 2. Sozial, 3. Psychisch, 4. Kontext. Inkludiert werden Personen mit einer erworbenen Querschnittlähmung im Alter von 16 bis 65 Jahren, deren Lähmungshöhe nicht höher als C5 und nicht tiefer als S5 liegt und bei denen eine vollständige Rollstuhlabhängigkeit im Alltag besteht. Die angeschriebene Grundgesamtheit setzt sich aus 918 Personen, die zwischen Januar 1997 und Juli 2007 im Berufsgenossenschaftlichen Unfallkrankenhaus Hamburg erstversorgt oder als Wiederaufnahmefälle behandelt wurden und dort in einer Datenbank registriert sind, sowie aus 445 Personen einer bundesweiten Datenbank des Deutschen Rollstuhl-Sportverbandes e.V. zusammen. Der Erhebungszeitraum erstreckte sich von September 2007 bis Januar 2008.

25


Lebensqualitätsfeedback bei Querschnittlähmung im Vergleich zu ­Menschen ohne Behinderung Ergebnisse der 4 Sub- und 22 Einzelskalen (Mittelwerte)  Menschen mit Querschnittlähmung  Menschen ohne Behinderung

Skala Körperlich 3,0

Fälle

SD

Körperliche Belastbarkeit***

266 174

1,1 0,9

Körperliche Aktivitätn.s.

267 174

1,2 1,2

Ernährungn.s.

266 174

0,9 0,8

Körperliche Beweglichkeit***

266 174

1,2 0,8

Schlaf***

266 174

1,0 0,7

Schmerzen***

265 174

1,1 0,9

Körperlich gesamt

263 174

0,7 0,6

Fälle

SD

Beruf/Arbeitn.s.

148 135

1,0 0,9

Freizeit, Sport, Bewegungn.s.

264 174

1,1 0,9

Familien.s.

164 170

0,9 0,9

Finanzielle Lage**

266 174

1,1 0,9

Freunden.s.

267 174

0,9 1,0

Partnerschaftn.s.

170 142

0,8 0,7

Sozial gesamt

267 174

0,6 0,5

Fälle

SD

Ausgleichsbewegungsport**

268 174

1,1 1,2

Krankheitsbewältigung***

266 173

1,1 0,8

Energie*

267 173

0,8 0,8

Entspannungsfähigkeitn.s.

268 173

1,1 1,0

Genussfähigkeitn.s.

268 173

0,9 0,9

Selbstbewusstsein*

268 173

1,0 0,8

Psychisch gesamt

265 174

0,6 0,7

Fälle

SD

Gesundheitsversorgungn.s.

268 173

0,9 0,9

Arzt-Patientenverhältnisn.s.

268 173

0,8 0,9

Natur***

268 173

1,2 0,9

Wohnung***

268 174

1,0 0,8

Kontext gesamt

268 174

0,7 0,6

Skala sozial 3,0

Skala psychisch 3,0

Skala kontext 3,0

3,2

3,2

3,2

3,2

3,4

3,4

3,4

3,4

3,6

3,6

3,6

3,6

3,8

3,8

3,8

3,8

4,0

4,0

4,0

4,0

4,2

4,2

4,2

4,2

4,4

4,4

4,4

4,4

4,6

4,6

4,6

4,6

Legende: p≤.001 = *** | p≤.01 = ** | p≤.05 = * | p>.05 = n.s. | Standardabweichungen (SD)

Abb.1

26

Ergebnisse der Untersuchung 457 Fragebögen wurden anonym zurückgesendet (Bruttostichprobe). Nach Ausschluss postalischer Rück­läufer, Verstorbener, anderer Behinderungsformen, ungültiger Fragebögen, zum Teil oder voll gehfähiger Betroffener, Personen älter als 65 Jahre und Personen mit Lähmungshöhen ab C4 aufwärts beläuft sich die Nettostichprobe auf n=277. Die Stichprobe weist ein durchschnittliches Alter von 41,8 Jahren (SD=12,7) auf und setzt sich aus 79% männlichen und 21% weiblichen Personen ­zusammen. Paraplegien und Tetraplegien treten im Verhältnis 3:1 auf, wobei in 62,9% der Fälle eine komplette und in 37,1% eine inkomplette Lähmung vorliegt. In 79% der Fälle handelt es sich um traumatisch verursachte Lähmungen (21% Erkrankungen / Sonstiges) und bei nahezu der Hälfte aller Befragten liegt der Eintritt der Querschnittlähmung mehr als 5 Jahre ­zurück (48,3%).

Nach ihren zwei Siegen mit der deutschen Nationalmannschaft im Rollstuhlbasketball (Joseph-Lyttle-Challenge in Warm Springs/USA und North America´s Cup) strahlt Edina Müller beim Fotoshooting in Köln, wo sie studiert und arbeitet.

Die berufliche Situation gestaltet sich wie folgt: 35,5% der Befragten sind zum Zeitpunkt der Erhebung vollzeit-, teilzeit-, geringfügig oder unregelmäßig beschäftigt. Demgegenüber sind 59% nicht erwerbstätig. Dies steht im deutlichen Gegensatz zur beruflichen Situation vor Eintritt der Querschnitt­ lähmung, in der insgesamt nahezu dreiviertel der Betroffenen (74,2%) voll-, teilzeit-, geringfügig oder unregelmäßig beschäftigt waren.

Lebensqualität In Abb. 1 sind die vier Subskalen sowie alle Einzel­ skalen des Lebensqualitätsfeedback dargestellt. Während sich die Mittelwerte der Bereiche „Sozial“ und „Kontext“ auf der Skala von 1 (niedrigste Einschätzung) bis 5 (höchste Einschätzung) ähnlich wie die einer Vergleichsstichprobe ohne Behinderung verteilen, liegen der „körperliche“ und der „psychische“ Lebensqualitätsbereich jeweils deutlich niedriger.

Bewegung und Sport Die Untersuchung der sportlichen Aktivität ermittelt 51,5% Sportler gegenüber 48,5% sportlich inaktiven Betroffenen. Unter den sportlich Aktiven treiben 83,2% Freizeit- und 16,8% Leistungssport mit einem durchschnittlichen Trainingsumfang von sechs Stunden pro Woche im Freizeit- wie im Leistungssport. Am häufigsten wird die Sportart Handbiken (51,1%) ausgeübt. Gesundheitsorientiertes Sporttreiben wird in 54,6% der Fälle favorisiert, wobei 37,6% Fitness-/ Krafttraining und 17% Gymnastik betreiben. Unter den klassischen Rollstuhlsportarten dominiert die Sportart Rollstuhlbasketball mit 12,8%. Als Hauptmotive zum Sporttreiben geben die Befragten Fitness, Spaß und Gesundheit an. Die Betrachtung der sportlichen Aktivität nach Erwerbstätigkeit und Lähmungshöhe der Befragten zeigt zum einen, dass sportlich aktive Personen häufiger erwerbstätig sind als Nichtsportler (p=.007, 63,9% vs. 36,1%) und zum anderen Tetraplegiker seltener Sport treiben als Paraplegiker (p=.029, 38,6% vs. 54,8%). Zwischen hohen und tiefen Paraplegien konnten keine Unterschiede bezüglich der sportlichen Aktivität identi­ fiziert werden.

Die Identifizierung möglicher Einflussfaktoren auf die subjektive Einschätzung der Lebensqualität wurde mittels Diskriminanzanalyse durchgeführt. Diese zeigte, dass die ermittelten Lebensqualitätsangaben nicht wesentlich beeinflusst werden von Geschlecht, Alter und Eintritt der Querschnittlähmung der Befragten. Darüber hinaus können keine Unterschiede zwischen kompletten und inkompletten sowie erkrankungs- und unfallbedingten Lähmungsbildern beobachtet werden. Die körperliche Dimension der Lebensqualität wird durch die Faktoren Lähmungshöhe, Erwerbstätigkeit, Rollstuhlmobilität und sportliche Aktivität beeinflusst (Abb.2). Personen, die erwerbstätig sind, eine gute bis mittlere Rollstuhlmobilität aufweisen, Sport treiben oder in einer Gemeinschaft leben, ­schätzen

F|I|T 01|2010

ihre soziale Lebensqualität höher ein (Abb. 3). Auf psychischer Ebene weisen rollstuhlmobile und sporttreibende Betroffene höhere Lebensqualitätswerte auf als weniger mobile und sportlich Inak­tive (Abb. 4). Im Bereich der kontextbezogenen Lebensqualität ­unterscheiden sich die Angaben nach sportlicher Aktivität sowie nach Lebenssituation (Abb. 5). Bei Betrachtung des Einflusses der sportlichen ­Aktivität auf die Lebensqualität können somit Unterschiede in allen vier Subskalen identifiziert werden. Große Effekte liegen im Bereich der körperlichen und der psychischen Lebensqualität vor (vgl. Abb. 6). Um Verfälschungen der Ergebnisse zur Lebensqualität durch mögliche Wechselwirkungen der sportlichen Aktivität mit den Einflussfaktoren Erwerbstätigkeit, Lähmungshöhe, Lebenssituation und Rollstuhlmobilität zu vermeiden, wurden diese anhand einer univariaten Varianzanalyse überprüft und ausgeschlossen. Der positive Effekt der sportlichen Aktivität auf die vier Bereiche der Lebensqualität besteht demnach unabhängig von weiteren Einflussfaktoren.

27


Einfluss auf die körperliche Lebensqualität

Einfluss auf die soziale Lebensqualität

Psychische Lebensqualität

Kontextbezogene Lebensqualität

Lebensqualität und sportliche Aktivität

bei Menschen mit Querschnittlähmung

bei Menschen mit Querschnittlähmung

bei Menschen mit Querschnittlähmung

bei Menschen mit Querschnittlähmung

bei Menschen mit Querschnittlähmung 4,5

4,2

4,0 3,6

3,5

3,4

**

3,8

*** ***

*

***

**

**

3,7

3,3

***

3,6

3,0

*** *

*

3,3

4,0

3,2

3,9

*

3,1

p≤.001 = *** | p≤.01 = ** | p≤.05 = *

Abb. 3

Schlussfolgerungen Sportlich aktive Personen mit erworbener Querschnittlähmung unterscheiden sich von sportlich inaktiven, sie berichten von einer vergleichsweise besseren gesundheitsbezogenen Lebensqualität in allen vier übergeordneten Bereichen. In der Literatur konnten in diversen Reviews und Meta­analysen die vielfältigen Wirkungen von sportlicher Aktivität bei Fußgängern belegt werden: Neben den funktionellen Wirkungen wie Steigerung der Ausdauerleistungsfähigkeit, der Beweglichkeit, der Koordination etc. konnten auch soziale und psychische aufgezeigt werden, wie die Steigerung des Selbstbewusstseins, des Selbstkonzeptes oder der Befindlichkeit (Knoll et Al. 2006; Schlicht et Al. 2003; Rittner et Al. 2000). Diese Erkenntnisse können vorliegend für Menschen mit erworbener Querschnittlähmung bestätigt werden.

Edina Müller ist eine deutsche Nationalspielerin im Rollstuhlbasketball. Sie spielt in der 1. Bundesliga für den ASV Bonn. Mit der Nationalmannschaft gewann sie 2006 Bronze bei der Weltmeisterschaft in Amsterdam. Sie ist zweifache Europameisterin (2007, 2009) und holte bei den Paralympics 2008 in Peking die Silbermedaille. Mit der Damen-Nationalmannschaft wurde sie außerdem 2008 zur Mannschaft des Jahres im Behindertensport gewählt und eriehlt von Horst Köhler die höchste deutsche Sportauszeichnung – das silberne Lorbeerblatt.

Die Ergebnisse im Bereich Erwerbstätigkeit spiegeln positive Wirkungen des Sporttreibens auf das Berufsleben wider. Die positiven Effekte einer Erwerbstätigkeit auf die Lebensqualität (Sörensen et Al. 2008; Hess et Al. 2004; Evans et Al. 1993) können durch den Sport verstärkt werden, in dem die körperliche Belastbarkeit verbessert sowie das Selbstbewusstsein und die Energie gesteigert werden. Unter dem Gesichtspunkt der Prävention und der lebenslangen Rehabilitation bei Querschnittlähmung führen die Ergebnisse zu dem Schluss, dass die Hinführung zu Sport und Bewegung möglichst früh in

Abb. 4

*

1,0

**

0,5 0

p≤.01 = ** | p≤.05 = *

Voraussetzung für die Teilnahme an bewegungsorientierten Angeboten in der Klinik oder zum eigenverantwortlichen Sporttreiben in der poststationären Freizeit ist ein frühzeitig installiertes Rollstuhlmobilitätstraining. Denn Erfolge im Umgang mit dem Rollstuhl erhöhen das Selbstbewusstsein und die Motivation, sich auch den neuen Herausforderungen im Bereich von Sport und Bewegung zu stellen. Personen, die trotz aller Bemühungen keinen Zugang zum Sport finden, sollten daher lebenslang die Möglichkeit erhalten, an Rollstuhlmobilitätskursen teilzunehmen. Dies schafft die grundsätzlichen Voraussetzungen zu einer besseren Alltagsbewältigung und kann dadurch einen wichtigen Beitrag zu einer besseren Lebensqualität liefern. ◊

F|I|T 01|2010

2,0

**

den Rehabilitationsprozess integriert werden müssen. Aufgrund verkürzter Liege- und Behandlungszeiten während der Erstrehabilitation liegen jedoch häufig Defizite in der individuellen Anbahnung und Vermittlung von bewegungs- und sportspezifischen Fertigkeiten vor. Dem Entdecken von Bewegungspotentialen, der Förderung individueller Neigungen und der Vermittlung externer Anlaufstellen im Bereich des Rehabilitations- oder Vereinssports kommt dabei eine wesentliche Bedeutung zu, um eine außer­klinische Fortsetzung von sportlichen Aktivitäten sicher zu stellen.

Literatur bei den Autoren.

***

1,5

Sportlich aktiv (n=136)

Sportlich aktiv (n=136)

p≤.001 = *** | p≤.05 = *

Sportlich inaktiv (n=128)

Mittlere Mobilität (n=86)

Schlechte Mobilität (n=106)

Gute Mobilität (n=70)

Allein lebend (n=70)

in Gemeinschaft lebend (n=197)

Sportlich aktiv (n=136)

Sportlich inaktiv (n=128)

Mittlere Mobilität (n=86)

Schlechte Mobilität (n=106)

Gute Mobilität (n=70)

Erwerbstätig (n=82)

Nicht erwerbstätig (n=182)

Sportlich inaktiv (n=128)

Sportlich aktiv (n=136)

Schlechte Mobilität (n=106)

3,6

Gute Mobilität (n=70)

2,9

Mittlere Mobilität (n=86)

3,4 Erwerbstätig (n=82)

3,1 Nicht erwerbstätig (n=182)

3,7

Paraplegie (n=207)

3,0

Tetraplegie (n=56)

3,5

Abb. 2

*

3,8

***

*

***

2,5

4,1

3,2

p≤.001 = *** | p≤.01 = ** | p≤.05 = *

28

3,5

***

Kontext gesamt

***

**

Psychisch gesamt

**

**

3,9

*

**

***

Sozial gesamt

**

3,5

Körperlich gesamt

**

4,0

***

*

3,6

4,1

in Gemeinschaft lebend (n=197)

3,7

3,4

***

***

Allein lebend (n=70)

***

3,8

Sportlich inaktiv (n=128)

3,9

 Sportlich aktiv (n=141)  Sportlich inaktiv (n=133)

Abb. 5

p≤.001 = *** | p≤.01 = ** | p≤.05 = *

Abb. 6

Tanja Scheuer geboren 1982 in Krefeld, Diplomsportwissen­ schaftlerin, ist seit 2007 Mitarbeiterin am Institut ­ für Bewegungstherapie und bewegungsorientierte Prävention und Rehabilitation und seit 2009 Lehrkraft für besondere Aufgaben. Ihr Forschungsschwerpunkt liegt im Bereich des Sports von Menschen mit Behinderung. Kontakt: scheuer@dshs-koeln.de

Dr. Volker Anneken Diplomsportlehrer und Sonderschullehrer, war von 2002 bis 2009 wissenschaftlicher Mitarbeiter und Lehrkraft für besondere Aufgaben im jetzigen Institut für Bewegungstherapie und bewegungs­ orientierte Prävention und Rehabilitation. Er leitet seit Februar 2009 das Forschungsinstitut für Behinderung und Sport (FIBS) an der Deutschen Sporthochschule Köln und der Lebenshilfe NRW. Kontakt: anneken@fi-bs.de

Danksagung Für die enge Projektkooperation und die Unterstützung im Rahmen der Nutzung der Datenbanken bedankt sich das Autorenteam beim Deutschen Rollstuhl-Sportverband (Peter Richarz) und dem Berufsgenossenschaftlichen Unfallkrankenhaus Hamburg (Dr. med. Sven Hirschfeld, Dr. med. Roland Thietje).

29


Regel 144.2 Sprintmechanik eines beidseitig unterschenkelamputierten Athleten Text Wolfgang Potthast, Gert-Peter Brüggemann Fotos Institut für Biomechanik und Orthopädie

D

em heute 24-jährigen Südafrikaner Oscar Pistorius mussten aufgrund eines Gendefekts im Alter von elf Monaten beide Füße und Teile beider Unterschenkel amputiert werden. Von da an lernte er mit Hilfe von Unterschenkelprothesen zu gehen und Sport zu treiben, in dieser Zeit im Wesentlichen Mannschaftssport. In der Rehabilitationsphase nach einer Knieverletzung begann Pistorius mit speziell angefertigten Prothesen (Blades) zu sprinten. Im selben Jahr (2004) nahm er bereits an den Paralympischen Sommerspielen teil und gewann in der Klasse T44 über 100 m Bronze sowie über 200 m Gold. In den folgenden Jahren brach er Weltrekorde in seiner Klasse über die Distanzen 100 m, 200 m und 400 m. Seine persönliche Bestzeit liegt derzeit bei 46,25 s über 400 m.

30

F|I|T 01|2010

Pistorius strebte an, sich bei den Olympischen Spielen 2008 Athleten mit ohne Behinderung zu messen. Das Sprinten mit Prothesen könnte jedoch der Regel 144.2 der IAAF (International Association of Athletics Federations) widersprechen, wonach kein Athlet Federn, Räder oder ein anderes Element nutzen darf, das ihm einen Vorteil gegenüber einem anderen Athleten bietet, der dieses Hilfsmittel nicht nutzt. Die IAAF beauftragte im Spätsommer 2007 das Insti­ tut für Biomechanik und Orthopädie der Deutschen Sporthochschule Köln (DSHS), die Sprintmechanik von Oscar Pistorius in der Phase der höchsten Laufgeschwindigkeit im Vergleich zu 400-m-Sprintern ohne Behinderung und ähnlichen Leistungsniveaus zu analysieren.

31


Messaufbau zur Bestimmung der Trägheits­ eigenschaften der Prothese. Aus der Schwingungs­dauer der pendelnd aufgehängten Prothese wird das Trägheits­ moment bestimmt.

Abb. 1 Laufstrecke im LAZ mit Kraftmessplatten und Highspeed Infrarotkameras (links). Marker auf ausgewählten anatomischen Punkten der unteren Extremität und Prothese (mitte und rechts).

Methode An der vergleichenden Studie, die Anfang November 2007 im Leichtathletikzentrum (LAZ) der DSHS stattfand, nahmen Oscar Pistorius (OP) sowie fünf deutsche 400-m-Sprinter als Kontrollgruppe (KG) teil. Nachfolgend sind anthropometrische Daten der Studienteilnehmer tabellarisch aufgeführt (Tab. 1). Alle Versuchsteilnehmer hatten maximale und submaximale Sprints einer Länge von 50 bis 70 m auf der 100 m Bahn des LAZ zu absolvieren. Die Teilnehmer der KG trugen selbstgewählte Sprintspikes, OP trug seine Karbonfaser-Wettkampfprothese (Cheetah, ­Össur, Island). In der Phase der maximalen Geschwindigkeit wurden die Bodenreaktionskräfte mit vier im Hallenboden montierten Kraftmessplatten (Kistler, Schweiz) bei einer Abtastrate von 1250 Hz gemessen. Darüber ließen sich die drei Komponenten der Bodenreaktionskraft im zeitlichen Verlauf sowie der Kraftangriffspunkt des resultierenden Kraftvektors bestimmen. Zusammen mit der Erfassung der Sprintkinematik, d.h. der Quantifizierung der Bewegung der Körpersegmente der unteren Extremität, war es so möglich, über einen invers-dynamischen Ansatz Gelenkkräfte und -momente sowie insbesondere die Gelenkarbeit und -leistung zu bestimmen. Dafür kam ein mathematisches Drei-Segment-Modell der unte­ ren Extremität zum Einsatz (Stifilidis & Arampatzis 2007). Zur Definition der Segment- und Gelenk­ koordinatensysteme der unteren Extremität wurden reflektierende Marker an ausgewählte anatomische Punkte mit doppelseitigem Klebeband aufgebracht. Die Bewegung dieser Marker bei den Überläufen

32

wurde von zwölf Infrarot-Hochgeschwindigkeits­ kameras (Vicon, Vereinigtes Königreich) mit 250 Hz registriert und die Raumkoordinaten im Zeitverlauf berechnet. Abb. 1 zeigt den Versuchsaufbau (links) sowie die Markerplatzierung auf der unteren Extremität (mitte, rechts). Zur Kalkulation der Gelenkmomente und -kräfte sowie der Gelenkenergien und -leistungen benötigt das Drei-Segment-Modell u.a. die Trägheitscharakteristika und Lage der Körperschwerpunkte der Teilsegmente Fuß, Unterschenkel und Oberschenkel. Bei den Teilnehmern der KG wurden diese aus Aufnahmen eines dreidimensionalen laserbasierten Oberflächenscanners (Vitronic GmbH, Deutschland) gewonnen. Bei OP wurde ebenso ein Scan durchgeführt sowie zusätzlich die Trägheitseigenschaften der Prothese über Pendelversuche sowie die Lage des Körperschwerpunkts mit einer Dreipunktwaage gewonnen. Eine umfassendere Darstellung der Methoden findet sich bei BRÜGGEMANN ET AL. 2008. Ergebnisse und Diskussion Die Sprintanalyse zeigte fundamentale biomechanische Unterschiede zwischen den Teilnehmern der Kontrollgruppe und dem beidseitig amputierten Sprinter OP. In der Phase der individuell maximalen Laufgeschwindigkeit zeigte OP eine deutlich reduzierte Knieflexion während der Stützphase, was konsequenter Weise zu einem signifikant reduzierten Bewegungsumfang im Kniegelenk führte (OP: 4,9° ± 4,4; 11,6° ± 3,1). Genauso wie das externe Knieextensionsmoment (OP: 0,8 Nm/kg ± 0,3; KG: 1,6

Nm/kg ± 0,9) während der Stützphase, war das maximale externe Knieflexionsmoment bei OP signifikant geringer (1,2 Nm/kg ± 1,7) als bei der KG (4,7 Nm/kg ± 1,1). Dagegen waren am Sprunggelenk der Sprinter ohne Behinderung die maximalen Momente um 50% geringer als am künstlichen Sprunggelenk des beidseitig Amputierten (KG: 4,1 Nm/kg ± 0,2; OP: 6,2 Nm/kg ± 0,5). Ähnlich verhält es sich mit den energetischen Beiträgen dieser Gelenke: in der ersten Hälfte der Stützphase wurden in der Prothese OP 1,16 J/kg ± 0,2 absorbiert, die zu mehr als 90% in der zweiten Hälfte des Stützes an den Athleten zurückgegeben wurden. Die Kontrollathleten absorbierten zunächst deutlich weniger Energie im Sprunggelenk (0,78 J/kg ± 0,13). Zusätzlich generierten sie im zweiten Teil der Stützphase nur etwas mehr als 50% von dieser Energiemenge (Abb. 2). Sehr viel geringer als das künstliche Sprunggelenk trug das Kniegelenk des amputierten Sprinters energetisch zur Sprintbewegung bei. Sowohl die Energieabsorption als auch die -generierung betrug hier unter 0,1 J/kg. Bei den Kontrollathleten dagegen wurden im Mittel 0,33 J/kg ± 0,18 absorbiert und 0,13 J/kg ± 0,16 generiert (Abb. 3). Die vertikalen Bodenreaktionskraftimpulse waren bei OP ebenso ­signifikant geringer (2,1 N/kg*s ± 0,3) als bei der KG (2,5 N/kg*s ± 0,1), wie die horizontalen Brems- (OP: 0,18 N/kg*s ± 0,02; KG 0,25 N/kg*s ± 0,02) und Beschleunigungsimpulse (OP: 0,20 N/kg*s ± 0,04; KG: 0,28 N/kg*s ± 0,02) der Bodenreaktionskraft.

F|I|T 01|2010

Die wohl bemerkenswerteste Erkenntnis der Studie waren die großen Unterschiede der energetischen Beiträge aus Kniegelenk und Sprunggelenk zwischen dem beidseitig amputierten Sprinter OP und den Athleten ohne Behinderung der KG. Bei den Teilnehmern der KG waren die relativen Beiträge von Knie- und Sprunggelenk deutlich gleich­mäßiger verteilt als bei OP, bei dem das ­Kniegelenk keinen nennenswerten energetischen Beitrag in der Phase der maximalen Geschwindigkeit leistete. Fast der gesamte Beitrag der unteren Extremität resultiert hier aus der im künstlichen Sprunggelenk verrichteten Arbeit. Hierbei ist hervorzuheben, dass die Wettkampfprothese lediglich eine Energiedissipation von etwa 5% aufweist, d.h. etwa 95% der in der ersten Phase gespeicherten Energie, werden zurückgegeben. Die Prothese wirkt also fast wie eine idealelastische Feder. Beim Sprunggelenk der Athleten ohne Behinderung wird dagegen fast die Hälfte (46%) der absorbierten Energie nicht zurückgegeben. Das bedeutet, dass OP, sobald er eine gewisse Laufgeschwindigkeit und damit kinetische Energie erreicht hat, einen erheblichen Anteil seiner Energie in der ersten Hälfte der Stützphase in der Prothese in Form von Verformungsenergie speichern kann, und in der zweiten Hälfte der Stützphase fast die gesamte Energiemenge rein passiv zurückbekommt. Diese Bewegungsstrategie, die als fast idealelastisches „Abfedern“ oder „Prellen“ bezeichnet werden kann, unterscheidet sich deutlich von der Bewegungsform aller Kontroll­ athleten. Die Generierung von Gelenkenergie beim Athleten ohne Behinderung geschieht immer in Verbindung mit Muskelarbeit. Das wird auch anhand

33


der deutlich höheren externen Knieextensionsmomente der KG deutlich. Diesen externen Momenten muss im Wesentlichen durch Muskelkraft entgegengewirkt werden. Offenbar erlaubt die Strategie von OP ein Sprinten mit geringerer Vertikalbewegung des Körper­schwerpunkts (geringere vertikale Reaktionskraftimpulse) sowie mit reduzierten Bremsimpulsen. Es kann festgehalten werden, dass die Bewegungsmechanik von OP beim Sprinten in der Phase maxi­ maler Geschwindigkeit sich grundsätzlich von der Mechanik von Kontrollsprintern ähnlicher Leistungsklasse unterscheidet. Dies bezieht sich sowohl auf den Körperschwerpunkt bezogene Parameter also auch auf die energetischen Beiträge der Gelenke der unteren Extremität. Dies wird durch neuere Publikationen anderer Arbeitsgruppen bestätigt (Weyand et Al. 2009, van den Bogert 2009). Van den Bogert deutet mit einem Ansatz der dynamischen Optimierung und Modellrechnungen an, dass derartige Prothesen möglicherweise das Potential haben, die sportliche Leistung durch Veränderungen in der Bewegungsmechanik wie oben beschrieben noch deutlicher zu verbessern. Möglicherweise sind diese Bewegungstechniken dann jedoch schwierig zu kontrollieren. Es kann spekuliert werden, dass weitere technische Veränderungen, die möglichereise die individuellen Charakteristika des Athleten deutlicher berücksichtigen oder die möglicherweise Veränderungen der mechanischen Eigenschaften der Prothese über den Rennverlauf ermöglichen, weitere Verbesserungen im Bereich des Sprints mit Bein- bzw. Unterschenkel­ prothesen erwarten lassen.

Anthropometrische Daten und persönliche 400-m-Bestzeiten von Oscar Pistorius (OP) und der Kontrollgruppe (KG).

Oscar Pistorius (OP)

Kontrollgruppe (KG)

Körpermasse (kg)*

83.3

78.6 ± 8

Körperhöhe (cm)**

185

187.8 ± 5.7

Alter (Jahre)

21

22 ± 2

400 m persönliche Bestleistung (s)*

46.34

48.53 ± 1.2 * Werte zum Zeitpunkt der Untersuchung ** Standhöhe bei OP mit Sprintprothesen

Tab.1

Zeitverläufe der Sprunggelenksarbeit OP 0,2

Gelenkenergie [J/kg]

KG

 OP

 KG

Sprunggelenksarbeit [J/kg]

0

-0,8

-1,2

0,5 0 -0,5 -1,0

-1,4

-1,5 0

20

40

60

80 100 Stützphase [%]

Abb.3 Zeitverläufe der mittleren Sprunggelenksarbeit (± Standardabweichung; dünne Linien) während der Stützphase. Die absteigenden Äste der Kurven zeigen absorbierte, die aufsteigenden Äste generierte Energien an.

34

1,0

absorbiert

-1,0

generierte Energie

-0,6

generiert

-0,4

absorbierte Energie

-0,2

1,5

Sprunggelenk

Knie

Abb.4 Mittelwerte und Standardabweichungen der absorbierten (negativ) und generierten (positiv) Energien an Sprunggelenk und Knie. Deutlich wird, dass bei der KG die energetischen Beiträge aus Knie und Sprunggelenk deutlich gleichmäßiger verteilt sind als bei OP.

Ausblick Auf Grundlage des Forschungsberichts entschied die IAAF, Oscar Pistorius nicht für die Olympischen Spiele in Peking zuzulassen. Es sei an dieser ­Stelle angemerkt, dass im Forschungsbericht keine Empfehlung an die IAAF ausgesprochen wurde. Die Seite von ­Oscar Pistorius hat daraufhin eine weitere Forschungs­ gruppe beauftragt, eine Bewegungs­analyse zu erstellen. Inhaltlich widersprachen die Ergebnisse denen der Studie des Instituts für Bio­mechanik und Orthopädie nicht. Jedoch wurden einige der Ergebnisse anders interpretiert. Oscar Pistorius entschied sich im Anschluss dazu, vor dem Internatio­nalen Sportgerichtshof (CAS) die Entscheidung der IAAF anzufechten. Das CAS sah einen Wettbewerbs­vorteil anhand der Datenlage nicht ­eindeutig gegeben und hob die Sperre von Oscar Pistorius auf. Er hätte demzufolge bei den Olympischen Spielen in Peking starten dürfen, qualifizierte sich jedoch sportlich nicht. ◊ Literatur bei den Autoren.­

F|I|T 01|2010

Dr. Wolfgang Potthast, Geboren 1967 in Möhnesee-Körbecke, studierte Sportwissenschaften an der Deutschen Sporthoch­ schule Köln sowie Physik an der Universität Köln und Uni Bonn. Seit 2000 ist Potthast wissenschaft­licher Mitarbeiter am Institut für Biomechanik und Orthopädie der DSHS Köln, wo er 2005 auch promovierte. Seine Dissertation schrieb er zum Thema: Stoßübertragung über das Knie und muskuläre Gelenkkopplung. Auszeichnungen: Toyota-Förderpreis 1999 Diplomarbeit; 2005 Nike Basic-Research Award der Footwearbiomechanics group; 2005 New Investigator Award International Society of Biomechanics on Sports; 2006 Novel Award EMED Scientific Meeting. Kontakt: potthast@dshs-koeln.de

Prof. Dr. Gert-Peter Brüggemann, geboren 1952 in Soest/Westfalen, studierte an ­den Universitäten Münster und Frankfurt Mathematik und Sportwissenschaften. Promotion in Biome­ chanik an der Universität Frankfurt. Erste Professur an die Deutsche Sporthochschule Köln 1983. Ab 2000 Leitung des jetzigen Instituts für Biomechanik und Orthopädie der DSHS Köln. Publikation von mehr als 150 Originalarbeiten im Bereich der Sportbiomechanik, angewandter ­Biomechanik und klinischer Biomechanik. Gutachter für Journal of Biomechanics, International Journal of Industrial Ergonomics, Journal of Applied Physiology, International Journal of Sports Medicine, Medicine and Science in Sport and Exercise sowie weitere internationale Journale. Kontakt: brueggemann@dshs-koeln.de

35


Dopinganalytik im Behindertensport Entwicklungen bei den Paralympischen Spielen 1984 – 2008 und auf nationaler Ebene 1992 – 2008

Text Mario Thevis, Peter Hemmersbach, Hans Geyer, Wilhelm Schänzer Fotos Boris Breuer, DSHS-Pressestelle

S

eit 1984 sind Dopingkontrollen regulärer Bestandteil bei Paralympischen Spielen. Die Kontrollaktivität wurde mit der Gründung des Internationalen Paralympischen Komitees vor ca. 20 Jahren (1989) kontinuierlich verstärkt und systematische, den besonderen Herausforderungen angepasste Kontrollen, eingeführt. Diese haben insbesondere bei Paralympischen Sommerspielen zu zahlreichen Funden verbotener Mittel (im Wesentlichen anabol-androgene Steroide, Diuretika, Corticosteroide und Stimulanzien) geführt. In Deutschland werden seit 1992 behinderte Leistungssportler regelmäßig zu Dopingkontrollen gebeten, organisiert durch den Deutschen Behindertensportverband (DBS) und die Nationale Anti-Doping Agentur (NADA). Wie auch auf internationaler Ebene wurden seither verschiedene Verstöße gegen Anti-Doping-Regularien verzeichnet, die sowohl auf anabole Wirkstoffe als auch Stimulantien, Diuretika, Narkotika, etc. zurückzuführen waren. In der vorliegenden Arbeit sind die verfügbaren Zahlen der durchgeführten Kontrollen bei Paralympischen Sommer- und Winterspielen sowie die des Behindertensports in Deutschland zusammengefasst. Doping repräsentiert eine Schattenseite von Leistungs- und Spitzensport, die ebenso den Bereich der nicht-behinderten Sportler als auch den Behinderten(spitzen)sport betrifft. Letzterer hat in großem Maße an Professionalität und Aufmerksamkeit gewonnen, wobei auch die Dopingproblematik in den Fokus der nationalen und internationalen Fachverbände geraten ist. Die Versuchung, die natürlichen Leistungsgrenzen auf illegalem Wege zu mani­ pulieren, ist grundsätzlich gegeben und durch verschiedene Fälle in der Vergangenheit und Gegenwart belegt. Im Folgenden werden die Entwicklungen der Anti-Doping-Maßnahmen im Behindertensport am Beispiel der Paralympischen Spiele sowie dem nationalen Anti-Doping-Kampf dargestellt. Auch wenn

36

F|I|T 01|2010

in vielen Bereichen Parallelen zum Anti-Doping­Regelement nicht ­behinderter Athleten vorliegen, liefert der Behindertensport eine eigene Historie und besondere Herausforderungen für die Dopingkontrolleure und -analytik. Geschichtliche Aspekte des internationalen AntiDoping-Kampfs im Behindertensport Seit der Einführung systematischer Dopingkontrollen im Jahre 1983 wurden die Bemühungen um einen konstruktiven Anti-Doping-Kampf ­intensiviert, die durch die Einführung des Internationalen Paralympischen Komitees (IPC) 1989 deutliche Fortschritte gemacht haben, welche sich insbesondere am Beispiel der Paralympics verdeutlichen lassen. Paralympische Sommerspiele Bei den Paralympischen Sommerspielen 1984 und 1988 in Stoke Mandeville / New York und Seoul wurden erste Dopingkontrollen geplant und durchgeführt, welche jedoch in Anzahl und Konsequenz noch nicht als wegweisend zu bezeichnen waren. 100 Proben wurden bei den Paralympischen Sommerspielen 1984 in New York und Stoke Mandeville (für Rollstuhlfahrer) analysiert, von denen vier ein positives Testergebnis lieferten. Diese Befunde wurden jedoch aufgrund der in Frage gestellten Verfahren zur Abnahme der Proben als nicht zu bewerten eingestuft. 1988 wurden in Seoul 50 Kontrollen durchgeführt, die jedoch nur an ausgewählten Tagen genommen werden durften. Dennoch lieferte die Analytik einen positiven Befund. In Prozent ausgedrückt stellen die­se Ergebnisse zwar 2-4% so genannter adverse analytical findings (AAF) dar, da jedoch keine Angaben zu den detektierten Substanzen bzw. möglicher thera­peutischer Begründungen vorzufinden waren, ist eine abschließende Bewertung dieser Analyseergebnisse nicht möglich. Während der Paralympics 1992 in Barcelona wurden bei ca. 3000 teilnehmenden Sportlern insgesamt 300 Dopingkontrollen durchge-

37


Dopingkontrollen bei Paralympischen Sommerspielen Jahr

1984

Austragungsort

Stoke Mande­ville & New York

1988

1992

1996

2000

2004

2008

Seoul

Barcelona

Atlanta

Sydney

Athen

Peking

Anzahl Athleten

2900

3057

3001

3259

3881

3806

3951

Anzahl Kontrollen

100

50

300

318

630

675*

1155*

Anteil Wettkampfkontrollen

k.A.

k.A.

k.A.

k.A.

k.A.

515

838

Anteil Trainings-/ Zielkontrollen

k.A.

k.A.

k.A.

k.A.

k.A.

160

317

1000

1000

900

900

800

800

700

700

29%

600

600

500 400

400

25,5% Anstieg der Kontrollen

300

Wettkampfkontrollen 300

200

200

Kontrollen 100

Trainingskontrollen

3,5%

100

0

Positive Befunde

Abb.1 Strukturformeln verbotener Substanzen, die in Dopingkontrollproben bei Paralympischen Spielen entdeckt wurden und zu Sanktionen führten: a) anabol-androgene Steroide (1, Methyltestosteron; 2, Metandienon; 3, Testosteron; 4, Stanozolol; 5, Nandrolon-Metabolit 19-Norandrosteron; 6, Metenolon; 7, Boldenon), b) Diuretika (8, Hydrochlorothiazid; 9, Chlorthalidon; 10, Furosemid), c) Corticosteroide (11, Prednisolon; 12, Methylprednisolon; 13, Budesonid) und d) ein Stimulanz namens Propylhexedrin (14).

500

0

k.A.

1 k.A.

Sportarten

Substanzen

3 Rollstuhlbasketball1 Judo2 k.A.2 1 2

0 k.A.

Analgetikum Anaboles Steroid

11

10

3

Gewichtheben1234567 Leichtathletik2

Gewichtheben1234 Leichtathletik5 Radsport678

Gewichtheben

1

Testosteron NandrolonMetabolit 3 Chlorthalidon 4 Metandienon 5 Methyltestosteron 6 Stanozolol 7 Hydrochlorothiazid

1

2

2

Stanozolol Nandrolon-Metabolit Furosemid 4 Metandienon 5 Prophylexedrin 6 Prednisolon 7 Methylprednisilon 8 Budesonid

Boldenon Metandienon NandrolonMetabolit

*davon 33 EPO-Tests

*davon 33 EPOTests und 262 Blutkontrollen

Bemerkungen

3

führt. Drei positive Befunde (1%) wurden berichtet, die u.a. beim Rollstuhlbasketball und Judo mit anabol-androgenen Steroiden und Narkotika detektiert wurden. Eine vergleichbare Zahl Athleten war bei den Paralympischen Spiele in Atlanta 1996 vertreten, bei welchen keine verbotenen Substanzen oder Methoden des Dopings aufgedeckt wurden. Im Gegensatz dazu lieferten die 630 Kontrollen in Sydney 2000 elf AAFs (1,7%). Zehn Funde im Gewichtheben und einer in der Leichtathletik wurden vorrangig durch anabol-androgene Steroide (neun Fälle mit Methyltestosteron, Metandienon, Testosteron, Stanozolol, und dem Nandrolon-Metaboliten 19-Norandrosteron, Abb.1, 1-5) und verschleiernde Substanzen (Diuretika wie Hydrochlorothiazid und Chlorthalidon, 2 Fälle, Abb.1, 8-9) verursacht. In Athen 2004 wurden in 675 Dopingkontrollen zehn (1,5%) AAFs verzeichnet, welche Gewichtheben (6 Fälle, darunter Funde anabol-androgener Steroide wie Metandienon, Stanozolol und dem Metaboliten 19-Norandrosteron sowie das Diuretikum Furosemid, Abb.1, 2, 4, 5 bzw. 10), Radfahren (3 Fälle mit den Corticosteroiden Prednisolon, Methylprednisolon und Budesonid, Abb.1, 11-13) und Leichtathletik (ein positiver Befund mit dem Stimulanz Propylhexedrin, Abb.1, 14) betrafen. Die letzten Paralympischen Spiele 2008 in Peking waren mit 4.124 teilnehmende Athleten und 1.155 analysierten Dopingkontrollproben mit einem im Umfang deutlich gesteigerten Anti-Doping-Programm ausgestattet, welches zu drei positiven Befunden im Gewichtheben führte, die ausschließlich

Dopingkontrollen bei Paralympischen Winterspielen Jahr

1984

1988

1992

1994

1998

2002

Austragungsort

Innsbruck

Innsbruck

Albertville

Lillehammer

Nagano

Salt Lake City

2006 Turin

350

397

365

471

571

416

474

Anzahl Kontrollen

0

0

k.A.

50

59

101

242*

Anteil Wettkampfkontrollen

k.A.

k.A.

k.A.

k.A.

k.A.

k.A.

139

Anteil Trainings-/ Zielkontrollen

k.A.

k.A.

k.A.

k.A.

k.A.

k.A.

103

Anzahl Athleten

350

51%

350

300

300

250

250

200

200

150

150

51% Anstieg der Kontrollen

100 50 0

Positive Befunde

0% 0

Kontrollen 0

0

0

0

Trainingskontrollen

Wettkampfkontrollen

50 0

1

Sportart

Skilanglauf

Substanzen

Metenolon

Bemerkungen

100

0

*davon 32 EPOTests und 36 Blutkontrollen

auf dem Missbrauch anabol-androgener Steroide (Metandienon, 19-Norandrosteron, und Boldenon) beruhten (Abb. 1, 2, 5, bzw. 7). Paralympische Winterspiele Im Gegensatz zu den Paralympischen Sommer­spielen waren die Paralympischen Winterspiele lange von positiven Befunden bei Dopingkontrollen verschont geblieben. Während 1984 und 1988 noch keine Urin­analysen durchgeführt wurden und für 1992 (Albert­ville) keine Angaben über den Umfang der Dopingkontrollen zu erhalten waren, lieferten die 50 bzw. 59 Dopingkontrollen von Lillehammer (1994) und Nagano (1998) keine AAFs. Erstmals 2002 wurde ein paralympischer Wintersportler des Dopings überführt, als in Salt Lake City bei einer Gesamtzahl von 101 Dopingkontrollen ein Befund (1%) mit dem anabol-androgenen Steroid Metenolon (Abb. 1,6) im Skilanglauf dokumentiert wurde. Mehr als die doppelte Anzahl Analysen (242) in Turin 2006 blieb ohne positives Ergebnis, so dass die Historie des Einsatzes verbotener Mittel und Methoden des Dopings im Paralympischen Wintersport bislang nur einen Athleten betroffen hat.

Tab.1 Dopingkontrollaktivitäten bei Paralympischen Spielen 38

F|I|T 01|2010

39


Blutkontrollen sind zu einem wichtigen Instrument der Dopinganalytik geworden und werden für die Bestimmung ver­ botener Substanzen wie z.B. Wachstumshormon und Erythropoietin, aber auch für Blutprofilerstellungen genutzt.

Dopingkontrollen DBS 1992-2008

Jahr

1992

1993

1994

1995

1996

1997

1998

1999

2000

2001

2002

2003

2004

2005

2006

2007

2008

Gesamt

20

23

38

112

37

46

120

107

82

73

149

156

139

148

123

137

189

1699

Anzahl WettkampfKontrollen

k.A.

k.A.

k.A.

k.A.

k.A.

k.A.

k.A.

k.A.

23 (28,0%)

k.A.

135 107 90 102 74 56 81 (90,6%) (68,6%) (64,7%) (68,9%) (60,2%) (40,9%) (42,9%)

668

Anzahl Trai­nings-/ Zielkontrollen

k.A.

k.A.

k.A.

k.A.

k.A.

k.A.

k.A.

k.A.

59 (72,0%)

k.A.

14 (9,4%)

455

1

-

-

-

1

2

1

-

1

-

4*

Anzahl Kontrollen

AAF dedektierte Substanzen

Clostebol (Megagri­ vesit)

Morphin

Coffein Furosemid

Ephedrin

Furosemid

49 49 46 49 81 108 (31,4%) (35,3%) (31,1%) (39,8%) (59,1%) (57,1%) 3

3

8*

2

5*

3*

14

Blutkontrollen Der Missbrauch von Wachstumshormon, ausgewählten Erythropoietinen (z.B. Mircera) sowie Fremdblutdoping und künstliche Sauerstoffträger ist bislang nur (oder bevorzugt) mit Hilfe von Blutkontrollen nachweisbar. Um dieser Problematik zu begegnen sind 2006 bei den Paralympics in Turin erstmals auch Blutanalysen durchgeführt worden. Von den insgesamt 242 Dopingkontrollen von Turin erfolgten 139 im zeitlichen Rahmen des Wettkampfes, unter denen sich 36 Blutkontrollen (26%) befanden, die ausschließlich den Ausdauersportbereich betrafen. Während der Paralympics 2008 in Peking wurde das Unterfangen der Blutkontrollen weiter ausgebaut und es entfielen 262 (23%) der 1.155 Dopingkontrollen auf Blutkontrollen, die zur Analytik von Wachstumshormon (131 Proben), Bluttransfusion (83) und künstliche Sauerstoffträger (48) eingesetzt wurden.

Hydrochlo- Hydrochlo- Morphin rothiazid/ Stanozolol Metoprolol Diuretikum rothiazid Metenolon Torasemid Ephedrin Metoprolol Stanozolol Furosemid Finasterid MethylTHC THC Bisoprolol phenidat Finasterid MethylpredNandrolon- ChlorthaMetabolit lidon

Clenbuterol THC

Atenolol

nisolone

Reproterol

Hydrochlorothiazid

Salmeterol

Testosteron

Bemerkungen

*Abgabe ans IPC in zwei Fällen

*öffentliche Verwarnung in zwei Fällen, Freispruch in fünf Fällen

*Abgabe *Abgabe ans IPC in ans IPC in zwei Fällen, einem Fall, Freispruch Revisionsverfahren in zwei in einem Fällen Fall

Tab.2 Übersicht Dopingkontrollen DBS 1992–2008 Hier ist zu beachten, dass nicht nur deutsche Athleten bei den Tests kontrolliert wurden und in der Aufzählung nicht unterschieden wird, ob es sich bei den positiven Ergebnissen um deutsche oder ausländische Sportler handelt. Es sei denn die Bemerkung „Abgabe ans IPC“ liegt vor. *ab 2008 wurden die Trainingskontrollen an die NADA abgegeben

Geschichtliche Aspekte des nationalen ­Anti-Doping-Kampfs im Behindertensport Die Anfänge des Behindertensports in Deutschland gehen auf die 1950 gehaltenen ersten Deutschen Versehrtensportmeisterschaften (Schwimmen und Leichtathletik) und der damit verbundenen Gründung des Deutschen Versehrtensportverbands zurück. Dieser wird ein Jahr später in die Arbeitsgemeinschaft Deutscher Versehrtensport (ADV) integriert, welche 1957 offiziell in den Deutschen Versehrtensportverband e.V. (DVS) umbenannt wird, der wiederum ab 1975 als Deutscher Behindertensportverband (DBS) operiert. In Deutschland wurden 1992 erste systematische Dopingkontrollen durch den DBS eingeführt, die zunächst wahrscheinlich nur die Wettkämpfe betrafen und nachweislich seit 2000 auch die Trainingsphasen beinhalteten (Tab.2). Diese Trainingskontrollen werden seit 2008 federführend von der nationalen Anti-Doping Agentur (NADA) organisiert. Bereits im ersten Jahr der Dopingkontrollaktivitäten 1992, in dem 20 Analysen durch den DBS angewiesen wurden, konnte mit Megagrivesit ein anabol-androgenes Steroid (welches den aktiven Wirkstoff Clostebol enthält), detektiert werden. Eine

Urinproben werden einer Reihe verschiedener Tests unterzogen, die Extraktionen und chemische Behandlungen in Reagenzgläsern (links) oder grundlegende Datenerfassungen zu pH-Wert und Dichte (rechts) beinhalten.

40

F|I|T 01|2010

Vervielfachung der Dopingkontrollen bis zum Jahr 1995 auf 112 durchgeführte Überprüfungen lieferte zunächst keine weiteren AAFs, was jedoch seit 1996, abgesehen von den Jahren 1999 und 2001, die Ausnahme bleiben sollte. Verschiedenste verbotene Substanzen wurden in Dopingkontrollproben aufgefunden, von denen einige einer zulässigen therapeutischen Behandlung der Athleten zugeordnet werden konnten und somit nicht zu Sanktionen führten, andere jedoch (in erster Linie anabol-androgene Steroide wie Tes­ tosteron, Stanozolol, und der Nandrolon-Metabolit 19-Norandrosteron, Abb. 1, 4-6) mehrmonatige oder mehrjährige Sperren zur Folge hatten. Die Gesamtzahl der Dopingkontrollen im Bereich des deutschen Behindertensports hat sich in den ersten zehn Jahren der Kontrollaktivitäten von 20 Analysen bis zu Spitzenwerten von 120 Tests pro Jahr gesteigert, wobei für diesen Zeitraum rückblickend keine Differenzierung in so genannte Trainingskontrollen (out-of-competition controls, OOC) und Wettkampfkontrollen (in-competition controls, IC) möglich ist. Vollständiger und umfangreicher sind die verfügbaren Informationen für den Zeitraum zwischen 2002 und 2008, in dem zwischen 120 und 190 Analysen pro Jahr bei einer geschätzten durchschnittlichen Kaderstärke von ca. 200 Athleten angewiesen wurden. Zunächst setzte sich der Gesamtkontroll­ auf­wand aus ca. einem Drittel Trainingskontrollen und zwei Dritteln Wettkampfkontrollen zusammen, was sich 2007/2008 zu Gunsten der OOC verschoben hat, die nun den überwiegenden Teil der Doping­ kontrollen ausmachen (Tab. 2). Die Wichtigkeit der Trainingskontrollen ist dadurch bedingt, dass bei vielen Dopingmitteln (z.B. anabol-androgenen Steroiden und Erythropoietin (EPO)) die potentielle leis­ tungssteigernde Wirkung auch dann noch vorhält, wenn die Substanz und deren Metaboliten längst aus dem Körper ausgeschieden sind. Eine effektive Dopingkontrolle muss deshalb dem Zeitpunkt eines möglichen Missbrauchs angepasst sein und nicht nur zum Wettkampfzeitpunkt erfolgen.

41


Proben werden aus versiegelten Dopingkontroll-Flaschen zur Analytik aliquotiert und durchlaufen zahlreiche Messverfahren im Rahmen einer regulären Untersuchung.

Gel-Elektrophoresen und Blots zur Proteinanalytik sind fester Bestandteil der modernen Dopinganalytik.

Besondere Herausforderungen ­ für die Dopinganalytik im Behindertensport

Athleten kurz vor den Wettkämpfen, zu denen sie nicht zugelassen werden, wenn zwei aufeinanderfolgende Blutdruckbestimmungen innerhalb von ca. zehn Minuten jeweils Werte größer als 180 mm Hg ergeben.

Probennahme und erhöhter therapeutischer Bedarf. Im Vergleich zu Dopinganalysen von Sportlern ohne Behinderung stellen Kontrollen im Behindertensport in bestimmter Hinsicht besondere Herausforderungen dar. Dies betrifft zum einen den erhöhten therapeutischen Einsatz zum Teil dopingrelevanter Verbindungen, für die gegebenenfalls therapeutische Ausnahmegenehmigungen durch die Athleten eingeholt werden müssen. Auch die zugestandene Verabreichung grundsätzlich dopingrelevanter Substanzen führt in Dopinganalysen zunächst zu auffälligen Befunden, die daraufhin durch den entsprechenden Verband bzw. die NADA bezüglich der Nachverfolgung diskutiert werden müssen. Dadurch erklären sich unter anderem die vergleichsweise häufigen Freisprüche behinderter Sportler (Tab.2), da in eini­ gen Fällen die besonderen Umstände der notwendigen Medikation berücksichtigt wurden. Zum anderen ist die Probennahme bei behinderten Sportlern, die einen permanenten Katheter benötigen (wie z.B. Paraplegiker) bzw. die Analytik der entsprechenden Urinprobe mit besonderer Sorgfalt durchzuführen, da, wie ältere sowie neuere Studien belegt haben, Kontaminationen durch Darmbakterien zur Entstehung kleinster Mengen dopingrelevanter Metaboliten führen können. Bereits seit einigen Jahren liegen Studien zur Umwandlung endogener Steroide zu dopingrelevanten Substanzen vor, die u.a. die Entstehung der verbotenen Verbindungen ­19-Norandrosteron (welche mit einem Grenzwert von 2 ng/mL versehen ist) aus Androsteron, Boldenon aus Testosteron, und Tetrahydromethyltestosteron aus dem allgemein eingesetzten internen Standard Methyltestosteron ermöglichen. Hier müssen Doping-

42

kontrollen mit besonderer Sorgfalt entnommen und analysiert werden, um bei durch Katheterisierung gesammelten Urinproben Artefakte auszuschließen. Boosting Eine besondere Abart der illegalen Leistungssteigerung im Behindertensport stellt das so genannte boosting dar. Im Falle einer Unterbrechung des Rückenmarks oberhalb des Brustwirbels Th6 und somit vor Austritt der sympathischen Nervenfasern zum Splanchnikusgebiet können spinale Reflexe unterhalb der Lähmung auftreten, die im Allgemeinen durch schmerzhafte Stimuli distal der Rückenmarksläsion, z.B. durch Überfüllung der Blase oder des Mastdarms, ausgelöst werden. Die resultierende autonome Dysreflexie äußert sich durch einen starken Anstieg der Blutdruckwerte, die im Extremfall zerebrale Blutungen zur Folge haben kann und somit als besonders gesundheitsgefährlich gilt. Dennoch scheint der einhergehende „positive“ Effekt der kurzzeitigen, um bis zu 10% gesteigerten Leistungsfähigkeit einhergehend mit einer signifikant erhöhten Katecholaminausschüttung Anreiz zu sein, die autonome Dysreflexie kurz vor oder während eines Wettkampfs zu provozieren, indem beispielsweise der Urinkatheter verschlossen wird und so eine Überfüllung und Überdehnung der Blase auftritt, oder durch Verdrehen des Skrotums bzw. Aufsitzen der nozizeptive Reiz mehr oder weniger kontrolliert gegeben wird. Aufgrund der extremen gesundheitlichen Risiken, die mit dieser Maßnahme einhergehen, hat das IPC das boosting seit 1994 explizit verboten; eine große Herausforderung stellt jedoch die Kontrolle der beabsichtigten Auslösung einer autonomen Dysreflexie dar, um einen Verstoß gegen die Anti-Doping-Regularien zu belegen. Bisherige Kontrollmechanismen betreffen ausschließlich die Kontrolle der Blutdruckwerte der

Schlussfolgerungen Die hier zusammengestellten Daten zeigen, dass, unabhängig von einer körperlichen Behinderung, zahlreiche Parallelen zwischen Olympischen und Paralympischen Spielen bezüglich der Anwendung verbotener Substanzen und Methoden zu erkennen sind und ähnliche (bisweilen identische) Verbindungen zur illegalen Leistungssteigerung eingesetzt werden. In erster Linie sind es anabole Wirkstoffe, Stimulanzien, und maskierende Substanzen wie Diuretika, die missbräuchlich verwendet werden, um einen Vorteil gegenüber den Wettbewerbern zu erlangen. Auch hier werden gesundheitliche Risiken, die wie im Falle des boostings akut lebensbedrohlich sind, offensichtlich von einigen wenigen Athleten in Kauf genommen. Dies belegt die Notwendigkeit eines effi­zienten Anti-Doping-Kampfs auch im Bereich des Behindertensports, und die verantwortlichen Organisationen wie der Deutsche Behindertensportverband (inzwischen in Zusammenarbeit mit der Nationalen Anti-Doping Agentur, NADA) und das IPC haben sich unter anderem dieser Aufgabe seit etwa zwei Jahrzehnten gewidmet.

F|I|T 01|2010

Prof. Dr. Mario Thevis Geboren 1973, studierte Chemie an der RWTH ­Aachen sowie Sportwissenschaften an der Deutschen Sporthochschule Köln, an der 2001 auch promovierte. Nach einer Tätigkeit als Post-Doc an der University of California Los Angeles habilitierte er im Fach Biochemie an der Deutschen Sporthochschule Köln. Seit Februar 2006 ist Thevis Professor für Präventive Dopingforschung sowie Sprecher des Zentrums für Präventive Dopingforschung (ZePräDo) an der DSHS Köln. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in der massenspektrometrischen Charakterisierung und ­Analytik dopingrelevanter nieder- und hochmolekularer Verbindungen. Kontakt m.thevis@biochem.dshs-koeln.de

weitere Autoren:

Prof. Dr. Peter Hemmersbach Norwegian Doping Control Laboratory, Oslo University Hospital Dr. Hans Geyer, Prof. Dr. Wilhelm Schänzer DSHS Institut für Biochemie, Zentrum für Präventive Dopingforschung

Danksagung Die Autoren bedanken sich ausdrücklich für die umfangreiche und freundliche Unterstützung bei der Zusammenstellung der Dopingkontroll-Zahlen durch das Internationale Paralympische Komitee (Herrn Dr. van de Vliet und Herrn Dr. Pascual), den Deutschen Behindertensportverband e.V. (DBS, Frau Kirsten Meier), die Laborleiter Dr. Costas Georgakopoulos (Griechenland), Prof. Jordi Segura (Spanien) und Dr. Kageyama (Japan) und das Manfred-Donike-Institut für Dopinganalytik (Köln).

43


K

inematische Untersuchungen sind fester Bestandteil der Sportwissenschaft, insbesondere, wenn es sich um die Analyse von technisch anspruchsvollen Bewegungen handelt. Hinter derartigen Untersuchungsansätzen steht die Vermutung, dass über eine differenzierte Darstellung der Bewegung von Körpern im Raum, bei denen die Faktoren Weg, Geschwindigkeit und Beschleunigung erhoben werden, ein besseres Verständnis der Bewegung möglich wird. Aus einem derartigen besseren Verständnis ergeben sich dann unter Umständen Möglichkeiten zur Ökonomisierung oder Optimierung einer Bewegung. Neben diesem Einsatzgebiet der Kinematik im Sinne einer Bewegungsoptimierung, besonders aus leistungsorientierter Sicht, haben Bewegungsanalysen in der Prävention, aber auch im rehabilitativ-therapeutischen Bereich einen wesentlichen Stellenwert. Hier geht es darum, Ursachen von chronischen Schädi­ gungen des Bewegungsapparats zu evaluieren und gegebenenfalls bei der Entwicklung von Vermeidungsstrategien oder Behandlungsformen zu helfen.

Kinematik im Handcycling Entwicklung einer sportartspezifischen Methode

Text Thomas Abel, Dominik Bonin, Kirsten Albracht, Sebastian Zeller, Brendan Burkett Fotos Norbert Wilhelmi, Institut für Bewegungs- und Neurowissenschaft

44

F|I|T 01|2010

45


Stativ (Eigenkonstruktion), zur Ausrichtung der Kamera von oben auf die Brustmarker Position des Kurbelmittelpunktes bei eingespanntem Bike

Markerpositionierung (oben) und Aufnahme eines statischen Trail bei Untersuchungen der französischen Nationalmannschaft.

Markierung auf dem Boden zur Ausrichtung des Kalibrationsrahmens

ROLLE Basler A602 f - 2

A) Konfiguration Kniebike

Position des Kurbelmittelpunktes bei eingespanntem Bike

ROLLE

Markierung auf dem Boden zur Ausrichtung des Kalibrationsrahmens

Basler A602 f - 2

B) Konfiguration Liegebike

Abb.1 Kamerapositionierung; links: Aufbau bei Kniebikern, rechts: Aufbau bei Liegebikern.

Im Bereich der einerseits noch recht „jungen“ Sportart Handcycling, die aber andererseits national und international bereits als ausgesprochen erfolgreich etabliert bezeichnet werden darf, erfolgten in den letzten Jahren verschiedene sportwissenschaftliche Untersuchungen. Untersuchungen zur Kinematik der Bewegung im Handcycle sind bisher nur von der belgischen ­Arbeitsgruppe um Faupin et al. durchgeführt worden. Diese Untersuchungen erfolgten allerdings nicht mit Menschen, die von einer Behinderung betroffen waren, sondern mit Probanden ohne Behinderung, die über keine HandcycleErfahrung verfügten. Auch wenn dies ein durchaus häufig angewendetes Verfahren ist, darf es nicht als wirklich repräsentativ für die Sportart gelten. ­Darüber hinaus wurde bei der Datenerhebung die Sportartspezifik im Sinne der Identifikation von zentral bedeutsamen Punkten in der Kurbelbewegung vernachlässigt. Ziel der hier vorliegenden Studie war es deshalb, ein Verfahren mit großer Relevanz für die Sportart zu entwickeln. Darüber hinaus ging es darum, die Sitzposition und die dabei resultierenden Winkelstellungen der Gelenke im Verlauf einer Kurbelumdrehung zu bestimmen und zu dokumentieren und damit ein kinematisches, bewegungsspezifisches Profil elitärer Athletinnen und Athleten im Handcycle zu erfassen. ­In einem weiteren Schritt wurde die physiologische ­Leistungsfähigkeit der Athleten, aber auch die Leistungsfähigkeit gemessen an der Platzierung in Peking ebenso wie das Ranking des Union ­Cyclist International (UCI) in den Jahren 2004-2007 mit

46

den gemessenen Gelenkwinkeln und Gelenkwinkelgeschwindigkeiten korreliert, um eventuell vorhandene Beziehungen aufzudecken. Methodik An den Untersuchungen nahmen elf paralympische Athleten aus fünf Ländern teil. Die Untersuchungen wurden wohnortnah bei den Athleten, zum Teil auch in nationalen Untersuchungszentren durchgeführt. Um möglichst standardisierte Bedingungen zu erhalten, wurde ein Zelt mit ­dunklen, nicht reflektierenden Seitenwänden ­verwendet, welches nahezu gleich bleibende Lichtverhältnisse gewährleistete. Für die Athleten wurde eine spezielle Trainingsrolle konstruiert, die ein Befahren mit montierten Fußrasten erlaubte. ­Somit konnte die normale Position der Athleten im Rad gewährleistet werden. Bei den Teilnehmern der Studie handelte es sich um Athleten der internationalen Spitzenklasse, die an den Paralympischen Spielen 2008 in Peking teilgenommen haben (insgesamt sechs Medaillen, davon drei Mal Gold). Die Teilnehmer wurden aus allen Wettkampfklassen rekrutiert. Der zeitliche Ablauf gestaltete sich bei allen Probanden gleich. Zunächst wurde zu Beginn des Messtages der komplette Messstand aufgebaut und das Sys­ tem kalibriert. Anschließend wurde ein kurzes ­Anamnesegespräch geführt und die Marker bei den Probanden angebracht. Danach wurde das Bike in die Rolle eingespannt und ein statischer Trial aufgenommen. Im Anschluss bestand die Möglichkeit,

sich für ca. 5 min an das Gerät und die ­geforderte Kurbelfrequenz von 90 U/min zu gewöhnen, ­un­mittel­bar gefolgt von der Aufzeichnung des ­dynamischen Trials. Die Belastung im Verlauf der Aufnahme lag bei 90 Watt. Vorbereitung und Kalibration des Systems Die Aufnahme erfolgte bei einer Aufnahmefrequenz von 100 Hz mit vier durch eine Vicon® MX Einheit synchronisierten Basler Kameras ­(Modell A602-f, Fa. Basler Vision Technologies, Ahrensburg, Deutschland), die wie in Abb.1 um die Trainingsrolle positioniert wurden. Neben jeder Kamera wurde eine Beleuchtungseinheit platziert um eine optimale Ausleuchtung zu erhalten. Die Platzierung der Marker erfolgte nach Vorgaben des Vicon® upper limb models™. Das Viconmodell berücksichtigt dabei die Empfehlungen der International Society of Biomechanics und der International Shoulder Group. Es wurde nur die rechte Körpersei­ te der Athleten mit Markern beklebt und untersucht. Die hinteren Rumpfmarker, lokalisiert über den Dornfortsätzen von C7 und Th10, konnten bei den Liegebikern, aufgrund der Sitzposition, nicht auf der Haut platziert werden. Die Positionierung erfolgte alternativ auf gleicher Höhe am Rahmen, die Abweichung zum anatomischen Referenzpunkt wurde gemessen und der Marker anschließend ‚virtuell‘ um die gemessene Distanz verschoben. Die Aufnahme des statischen Trials diente als Referenz für das verwendete Vicon® upper limb model™ (Fa. Vicon Motion Systems, Oxford, UK).

F|I|T 01|2010

Auswertung Die Digitalisierung der Marker erfolgte mit der Software Vicon® Motus 9.2 (Fa. Vicon Motion Systems, Oxford, UK). Die Rumpfmarker wurden aufgrund der fixierten Position des Oberkörpers bei Liege­ bikern als statisch angenommen. Die ­Berechnung der Gelenkwinkel erfolgt mit dem ­Vicon® upper limb model™. Innerhalb der Darstellung der Ergebnisse sowie bei den statistischen Berechnungen, wurden ausschließlich die nach Kardan erhobenen Winkel verwendet. Zusätzlich zu den Gelenkwinkeln wurde der Kurbelwinkel berechnet. Die Posi­ tion 0° wurde als horizontale Ausrichtung der Kurbel in Fahrtrichtung definiert. Daraus ergeben sich bei 90° eine senkrecht nach unten, bei 180° eine waagerecht nach hinten und entsprechend bei 270° eine senkrecht nach oben zeigende Kurbel. Die Berechnung der Winkelgeschwindigkeiten sowie alle weiteren Berechnungen der erhobenen Daten erfolgte in Matlab® Fa. (The MathWorks™, Natick, MA, USA). Um den Vergleich zwischen den Probanden zu ermöglichen, wurden die erhobenen Gelenk­winkel und Gelenkwinkelgeschwindigkeiten auf den Kurbelzyklus durch eine Spline-Interpolation normalisiert, so dass jeder Parameter in Abhängigkeit des Kurbelwinkels (0°, 5°, 10°, …, 355°) verfügbar war. Von jedem Probanden wurden drei komplette Kurbelzyklen ausgewertet. Zusätzlich wurden die Gelenkwinkel und Winkelgeschwindigkeiten an zuvor definierten Kurbelstellungen, bei denen in Vortests die höchsten Drehmomentwerte ­gemessen

47


wurden, ausgewertet. Zur Quantifizierung der Leis­ tungsfähigkeit wurden hier folgende Parameter verwendet und mit den kinematischen Parametern korreliert: · Relative Wattleistung bei einer Laktatkonzentration von 4 mmol/l · Erzielte Platzierung bei den Paralympics in Peking

Kniebike „Peking“ [n=2]

 Mittelwert

 Mittelwert

Mittelwert ± Stdf.

120

120

100

100

80

80

60

60

40

40

20

20

0

95°

245°

175°

Winkel X Ellbogengelenk

Winkel X Ellbogengelenk

Liegebike „Peking“ [n=8]

100

100

80

80

60

60

40

40

20

20

0

340°

Mittelwert ± Stdabw.

0

350°

160°

Kurbelposition

Abb.3 Winkel (°) im Ellbogengelenk der Athleten im Kniebike Raumebene „Flexion“.

Korrelation: r = -0,7253

2,6

10

2,4

9

2,2

8 Platzierung Zeitfahren Peking

Relative Wattlast (4 mmol/l) des Stufentests

Korrelation: r = 0,70439

2,0 1,8 1,6 1,4 1,2

7 6 5 4 3 2 1

16

18

20

22

24

26

28

30

32

Winkel Z° im Schultergelenk während der ersten Hauptantriebsphase Kurbelposition 95°

Abb.4 Vergleich des Winkels (°) im Schultergelenk „Abduktion“ (Kurbelposition 95°) und der relativen ­Wattlast des Stufentests bei einer metabo­lischen ­ Situation von 4 mmol/l Laktat.

48

0

90°

Kurbelposition

Abb.2 Winkel (°) im Ellbogengelenk der Athleten im Liegebike Raumebene „Flexion“, Athleten „Kniebike“.

1,0 14

225°

34

0

-40

-20

0

20

40

60

Ergebnisse Aufgrund des in der Methodik beschriebenen Aufnahmeprozedere (Aufnahmefrequenz der Kameras, Kurbelfrequenz) war es möglich, die Winkel und Winkelgeschwindigkeiten in den Gelenken des Schulter- und Ellbogengelenkes in einem Abstand von etwa 5,6° zu erheben. Um die Daten sinnvoll auswerten zu können und um die Datenmenge etwas einzugrenzen, wurden für Athleten im Kniebike als auch für Athleten im Liegebike jeweils vier spezifische Kurbelpositionen ausgewertet (zunächst die zwei Punkte des höchsten, dann die zwei des geringsten Drehmoments). Von den erhobenen Daten werden hier exemplarisch Winkel im Ellbogengelenk bei liegender Position sowie die Korrelation der Winkel im Schultergelenk zur relativen Wattlast bei vier mmol/l Laktat bzw. der Platzierung im Zeitfahren in Peking dargestellt.

80

Winkel X° im Schultergelenk während der ersten Hauptantriebsphase Kurbelposition 95°

Abb.5 Vergleich des Winkels (°) im Schultergelenk „Anteversion“ (Kurbelposition 95°) und der Platzierung in Peking während des Zeitfahrens Diskussion.

100

Die vorliegenden Untersuchungsergebnisse dürfen reklamieren, kinematische Aspekte der Sportart Handcycling für den internationalen Spitzensport zu repräsentieren. Da auch die Vorarbeiten zur Bestimmung von Kraftmaxima und Kraftminima mit international aktiven Athleten erhoben wurden, dürfen sie eine hohe Spezifität beanspruchen. Es ging einerseits darum, ein sportwissenschaftliches Untersuchungsinstrumentarium auf die Belange der relativ neuen Sportart Handcycling anzupassen und somit eine wissenschaftliche Untersuchungsmethodik zu implementieren. Andererseits wurden die mit Hilfe der Videoanalysen und deren anschließender Auswertung erhobenen Daten dazu genutzt, Zusammenhänge zwischen den biomechanischen Gegebenheiten und der Leistung zu analysieren. Gegenwärtig gibt es keine Untersuchungen zur Kinematik im Bereich des Handcycles, die Winkel oder Winkelgeschwindigkeiten zu bestimmten Punkten des Bewegungszyklus identifizieren. Von der Arbeitsgruppe um Faupin et Al. (2006) wurden Bereiche des Bewegungsausmaßes (range of ­motion) für das Schulter-, Ellbogen-, und Handgelenk erhoben. Das hier nachgewiesene Bewegungsausmaß liegt im Vergleich zu den publizierten Werten von Faupin et Al. (2006) etwas niedriger. Diese Unterschiede sind auf die unterschiedlichen Probandengruppen zurückzuführen, da an der Untersuchung von Faupin nicht-handbikeerfahrene Menschen ohne Behinderung teilnahmen. Es darf angenommen werden, dass für diese Probandengruppe eine unzureichende Anpassung an das

F|I|T 01|2010

Sportgerät im Sinne einer optimalen Sitzposition vorlag. Dies würde erklären, dass Bewegungen ausgeführt werden, die insgesamt als weniger ökonomisch im Sinne einer optimalen Vortriebsaktion eingeschätzt werden und zu einer größeren range of motion führten. Die Etablierung von Winkel­ ge-schwindigkeiten und Winkeln zu bestimmten, besonders relevanten Positionen sollte die Range of Motion in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung unbedingt ergänzen. Bei allen analysierten Korrelationen konnten keine signifikanten Zusammenhänge bezüglich der bio­ mechanischen Position und ihrer entsprechenden Winkelgrade im Schulter- und Ellbogengelenk oder den ermittelten Winkelgeschwindigkeiten einerseits und Parametern der Leistungsfähigkeit andererseits nachgewiesen werden. Die berechneten Korrelationskoeffizienten zeigen teilweise eine ausgesprochen schwache oder gar nicht vorhandene Beziehung. Allerdings sind einige Korrelationen zumindest als Hinweis auf mögliche, günstige Konfigurationen zu verstehen. Einerseits scheint ein vergleichsweise großer Winkel im Schultergelenk in der Flexionsbewegung zu guten Ergebnissen zu führen. Andererseits ist zu erkennen, dass ein relativ großer Winkel der Abduktion im Schultergelenk ebenfalls mit einer höheren Leistungsfähigkeit verbunden ist. Vor dem Hintergrund anderer Einflussfaktoren der Leistungsfähigkeit und unter Berücksichtigung der Anzahl der beteiligten Probanden sollten diese Ergebnisse aber nicht überinterpretiert werden. ◊ Literatur bei den Autoren.

Dr. Thomas Abel, geboren 1968 in Münster, studierte von 1993 bis 1998 Sportwissenschaft an der Deutschen Sporthochschule Köln sowie Sonderpädagogik an der Universität Köln. Er promovierte 2002 in den Fächern Sportmedizin/Rehabilitation. Thomas Abel arbeitet seit 2003 am Institut ­­ für Bewegungs- und Neurowissenschaft. ­­ Sein Forschungsschwerpunkt liegt im Bereich des Sports von Menschen mit Behinderung. Kontakt: abel@dshs-koeln.de

weitere Autoren:

Dominik Bonin, Sebastian Zeller, Institut für Bewegungs- und Neurowissenschaft Kirsten Albracht, Institut für Biomechanik und Orthopädie Brendan Burkett, Centre for Healthy Activities, Sport and Exercise Sunshine Coast University,Queensland Australien

49



Schwächen vermeiden. Stärken fördern. Mobilität menschlicher gestalten.

www.toyota-future.com Kann ein Auto zu einer besseren Zukunft beitragen? Wir glauben, dass Technologie nur dann fortschrittlich ist, wenn sie den Menschen eine bessere Zukunft ermöglicht. Darum arbeiten wir täglich daran, Schwächen zu vermeiden, Stärken zu fördern und Mobilität menschlicher zu gestalten. Denn wir glauben, dass man von einem Auto genauso viel erwarten darf wie von sich selbst.

| 01 | Juni | 2010 | Forschung | Innovation | Technologie |

Das Wissenschaftsmagazin der Deutschen Sporthochschule Köln

Sport und Behinderung


Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.